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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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Grundstücksspekulanten jetzt ein völlig verzerrtes Gesicht hatte. »Sollen wir die auch zu den Akten nehmen«, fragte ich Sam, »oder ...?«
    Ich hielt sie ihm hin, und wir blickten darauf: kleine, knorrige Baumstämme und Rauch, der sich aus den Schornsteinen der Häuser kringelte, zart und wehmütig wie ein Märchen. »Besser nicht«, sagte Sam nach einem Augenblick. Er nahm mir die Karte aus den Händen, rollte sie zusammen und bugsierte sie in die Mülltüte.
    »Mir fehlt ein Deckel«, sagte Cassie. Auf den Kratzern an ihrer Wange hatten sich dunkle Krusten gebildet. »Ist da drüben noch einer?«
    »Hier unter dem Tisch«, sagte Sam. »Fang –« Er warf Cassie den letzten Deckel zu, sie tat ihn auf den Karton und richtete sich auf.
    Wir standen unter den Neonlampen und blickten einander über die nackten Tische und den Kartonstapel hinweg an. Ich bin dran mit Kochen ... Fast hätte ich es ausgesprochen, und ich spürte, dass Sam und Cassie der gleiche Gedanke durch den Kopf schoss, dumm und unmöglich, aber deshalb nicht weniger schmerzhaft.
    »Na denn«, sagte Cassie mit einem langen ruhigen Atemzug. Sie blickte sich in dem leeren Raum um, wischte die Hände an ihrer Jeans ab. »Das war’s wohl.«

    Mir ist überaus bewusst, dass diese Geschichte kein besonders schmeichelhaftes Licht auf mich wirft. In der beeindruckend kurzen Zeit, die wir uns kannten, hatte Rosalind es geschafft, dass ich bei ihr bei Fuß ging wie ein gut abgerichteter Hund: Ich lief treppauf, treppab, um ihr Kaffee zu holen, nickte, wenn sie über meine Partnerin herzog, bildete mir wie ein schwärmender Teenager ein, sie wäre eine gleichgesinnte Seele. Aber ehe Sie mich in Bausch und Bogen verurteilen, lassen Sie sich eins gesagt sein: Rosalind hat Sie genauso getäuscht. Sie hatten die gleiche Chance wie ich. Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich gesehen habe, wie ich es zu der Zeit gesehen habe. Und falls das an sich schon trügerisch war, vergessen Sie nicht: Ich habe Sie gewarnt, gleich zu Anfang, ich habe gesagt, dass ich lüge.
    Das Ausmaß meines Entsetzens und meiner Selbstverachtung angesichts der Erkenntnis, dass Rosalind mich reingelegt hatte, ist kaum zu beschreiben. Cassie hätte sicherlich gesagt, meine Leichtgläubigkeit wäre ganz normal, im Vergleich zu Rosalind seien alle anderen Lügner und Kriminellen, mit denen ich je zu tun hatte, bloß Amateure, und sie selbst sei nur deshalb immun gewesen, weil sie mal auf die gleiche Methode reingefallen war. Aber Cassie war nicht da. Wenige Tage nachdem wir den Fall abgeschlossen hatten, eröffnete O’Kelly mir, dass ich bis zur endgültigen Entscheidung über mich in der Dienststelle auf der Harcourt Street – »wo Sie keinen Murks bauen können« – arbeiten würde, und zwar nicht mehr als Detective. Da ich noch offiziell dem Morddezernat angehörte, wussten sie dort nicht so richtig, was sie mit mir anfangen sollten. Ich bekam einen Schreibtisch, und ab und an schickte O’Kelly einen Stapel Papierkram rüber, doch die meiste Zeit hatte ich nichts zu tun, schlenderte gelangweilt durch die Flure, belauschte das eine oder andere Gespräch und wich neugierigen Blicken aus, unkörperlich und unerwünscht wie ein Geist.
    In schlaflosen Nächten malte ich mir detailliert so manches grausige Schicksal für Rosalind aus. Ich wünschte sie mir nicht nur tot, sondern sie sollte regelrecht ausgelöscht werden – bis zur Unkenntlichkeit zermalmt, zerhackt in einem Schredder, verbrannt zu einem giftigen Häufchen Asche. Ich hätte nie vermutet, zu derart sadistischen Gedanken fähig zu sein, und noch mehr entsetzte mich die Erkenntnis, dass ich jede dieser Strafen mit Vergnügen eigenhändig vollstreckt hätte. Ich spulte jedes Gespräch mit ihr immer und immer wieder im Kopf ab, und ich erkannte mit schonungsloser Klarheit, wie geschickt sie mich manipuliert hatte, mit welch untrüglicher Sicherheit sie den Finger auf alles gelegt hatte, auf meine Eitelkeiten, meine Verletzungen, ja sogar meine verborgensten Ängste, um es sich dann zunutze zu machen.
    Die allerschrecklichste Erkenntnis war letztlich die, dass Rosalind mir ja keinen Mikrochip implantiert oder mich mit Drogen gefügig gemacht hatte. Ich hatte jedes Gelübde selbst gebrochen und jedes Boot mit eigenen Händen zum Kentern gebracht. Wie eine gute Kunsthandwerkerin hatte sie lediglich das benutzt, was ihr in die Hände fiel. Fast beiläufig hatte sie Cassie und mich mit Röntgenblick taxiert und Cassie als unbrauchbar
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