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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter
Autoren: Friedrich Ani
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Schultern von drei Polizisten hinweg, die ihre Kugelschreiber zwischen den Fingern drehten, lächelte Sonja Süden zu, und er strich mit dem Daumen über seinen Mund wie Belmondo in dem alten Film, den er mit Sonja neulich in der »Lupe« gesehen hatte, eingepfercht zwischen nickenden, Zigarettenrauch ausdünstenden Cineasten nebst nickenden, Zigarettenrauch ausdünstenden Cineastenanbeterinnen.
    »Die Frau«, sagte Thon, »die Mutter des Mädchens, sie hat nichts gesagt, was die Kollegen für nötig befunden hätten aufzuschreiben, hier steht kein Wort von der Mutter.« Er gab eines der Blätter seinem Nachbarn Weber, der sich vorbeugte, soweit er mit seinem Kugelbauch dazu in der Lage war. »Wir werden das überprüfen, zunächst steht fest, das Mädchen hat in der Nacht das Haus verlassen, sie war aus, mit einer Freundin, Miriam, dann kam sie nach Hause, gegen Mitternacht, die Mutter lag zu diesem Zeitpunkt schon im Bett, der Vater saß am Schreibtisch. Schreibtisch, steht hier, er hat gearbeitet…«
    »Ist er selbstständig?«, fragte Süden.
    »Er hat ein Geschäft«, sagte Thon, der sehr viel anerzogene Geduld investieren musste, um jemanden, der ihn unterbrach, nicht anzubrüllen. In seinem Elternhaus in Hamburg lautete eine der Hauptregeln bei Tisch: Ausreden lassen!
    »Ein Modegeschäft in der Kreillerstraße«, sagte Weber und gab Thon das Blatt zurück.
    »In der Kreillerstraße?«, sagte Freya Epp, die zweiunddreißigjährige Oberkommissarin mit der farbig gestreiften Brille, hinter der ihre braunen Augen riesig wirkten. Sie musste mindestens sechs Dioptrien haben, so dick waren die Gläser.
    »Was ist daran komisch?«, fragte Thon.
    »Die Kreillerstraße… also die Kreillerstraße, die ist… die liegt…«, sagte Freya, deren Fähigkeiten als Kriminalistin unbestritten waren, die sachliche Berichte schrieb und für ihre einfühlsame Vernehmungsart geschätzt wurde. Begann sie jedoch frei zu sprechen, besonders vor einer Gruppe, verhedderte sie sich in einem Gestrüpp von Worten.
    »Bitte?«, sagte Thon.
    »Ja… ja… dort… das ist doch… Berg am Laim… ich war da… also, ein Modegeschäft in der Gegend, da hinter… hinter dem…«
    »Ja?«
    »Können wir weitermachen?«, sagte Sonja Feyerabend, zu deren intimsten Feinden Lebenszeitdiebe zählten.
    »Natürlich«, sagte Thon.
    »Macht er viel Umsatz?«, fragte Süden.
    Thon ging auf die Frage nicht ein. »Der Vater arbeitete, er hörte seine Tochter ins Zimmer gehen. Erst ins Zimmer, dann ins Bad, dann wieder ins Zimmer. Gegen halb eins ging er ins Bett. Und um acht Uhr morgens war das Bett seiner Tochter leer. Sie war weg. Außer der Tasche hatte sie Kleidung, Schuhe und Bücher mitgenommen.«
    »Und Geld?«, fragte Sonja Feyerabend.
    »Keine genauen Angaben.« Thon schob ihr ein Blatt hin.
    »Wir haben: keinen genauen Zeitpunkt des Verschwindens und kein Motiv, auch Liebeskummer und dergleichen fallen weg. Natürlich stellten die Kollegen bei der PI die Frage nach Selbstmordabsichten. Der Vater rastete fast aus. Auch dieser Punkt ist also noch völlig ungeklärt. Schwierigkeiten in der Schule: Das Mädchen ist einmal durchgefallen, in der neunten Klasse, wegen Mathematik und Physik, zurzeit hat sie offenbar keine Probleme. Sagt der Vater.«
    »Schließen wir demnach eine Straftat aus?«, fragte Weber.
    »Würd ich nicht machen«, sagte Josef Braga, der mit seinem Freund und Kollegen Sven Gerke erst vor wenigen Wochen von der Mordkommission zu den Vermissten gewechselt hatte.
    »Es deutet nichts darauf hin«, sagte Thon.
    »Noch nicht.«
    »Womöglich ist sie mit einer Freundin weggefahren«, sagte Sonja Feyerabend.
    »Auch darauf deutet nichts hin«, sagte Thon. Einige Sekunden lang herrschte Schweigen. Auf dem Flur waren Stimmen zu hören, eine davon kannte jeder im Raum. Kurz darauf kam Karl Funkel herein, der Leiter des Dezernats 11, Kriminaloberrat, dreiundfünfzig Jahre alt, nach der Attacke eines drogensüchtigen Dealers auf dem linken Auge erblindet. Seither trug er eine Augenklappe.
    »Guten Morgen«, sagte er. »Ein Herr de Vries rief mich an.« Er wedelte mit einem Blatt Papier in der Hand. »Er rief schon zweimal an, Veronika hat versucht, seine Aussage aufzunehmen, aber er ließ sich nicht abwimmeln. Seine Tochter ist verschwunden, Julika de Vries, er sagt, er war auf der Inspektion in der Türkenstraße, er wohnt in der Maxvorstadt, und er sagt, er hat große Sorgen, dass seiner Tochter etwas zugestoßen sein könnte. Er hat nach
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