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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter
Autoren: Friedrich Ani
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mit Rosa?«, fragte sie an der Tür.
    »Nichts ist!«, sagte er, unhöflich laut, wie Marlen Keel fand.
    »Seid ihr nicht mehr zusammen?« Sie wollte diese Fragen eigentlich nicht stellen, sie musste nur auf einmal an die junge Frau denken, die einen Tag vor Weihnachten zu Besuch da gewesen war und Rico ein Geschenk mitgebracht hatte, eine Duftöllampe. Und er hatte gewusst, dass sie kommen würde, und mürrisch eine CD für sie besorgt, gesammelte Oldies aus den achtziger Jahren, zum Einpacken verwendete er Papier, das vom letzten Jahr übrig geblieben war. Es war nicht zu übersehen, dass die beiden nicht gerade vor Hingabe fieberten, vor allem Rico schien nur noch aus Höflichkeit mit ihr auszugehen. Manchmal kam es Marlen vor, als fühle er sich von Rosa in die Enge getrieben, als fordere sie etwas von ihm, das er unter keinen Umständen bereit war ihr zu geben. Doch er sprach nicht darüber.
    »Wir waren nie zusammen!«, sagte er hart. Fast hätte sie erwidert: Und wozu dann die Kondome aus der Apotheke?
    »Wenn ich gewusst hätt, was sie… wenn ich… Die wollt mich testen, und ich will nicht getestet werden. Und jetzt fahr endlich! Du kriegst bloß wieder Ärger mit Schild.«
    »Wieso glaubst du, Rosa wollte dich testen? Wie denn?« August Schild, ihr Chef, würde sie auf jeden Fall zu sich zitieren, sie war schon jetzt eine Viertelstunde überfällig, das passierte ihr sonst nie.
    »Die will nach Süddeutschland, die will da unten leben, bei den Bergen, sie will mindestens eine Vierraumwohnung, und ich soll mit. Ich geh aber nicht. Sie hat dauernd davon geredet, sie hat gesagt, sie kriegt auch da unten einen Job als Fischverkäuferin, sie kennt da jemanden, sagt sie. Und ich soll mitkommen, ich könnt wieder als Tapezierer arbeiten, die brauchten da unten ausgebildete Leute wie mich. Ich geh da nicht hin. Sie hat von nichts anderem geredet, sie hat Wohnungsangebote aus der Zeitung ausgeschnitten. Und sie hat mich gefragt, ob ich Kinder will.«
    Er schwieg. Marlen Keel überlegte, wie lange es her war, seit er zum letzten Mal so von sich gesprochen hatte. Ob er Kinder wollte? Er war zweiundzwanzig. Sie war zwanzig gewesen, als er zur Welt kam. Er war selber fast noch ein Kind. Und sie war auch eines gewesen, als sie von einem Mann schwanger wurde, der wie später sein Sohn auch nirgendwo anders hin wollte – zumindest bis die Mauer fiel.
    »Du sollst sie heiraten!«, sagte sie und lächelte. Er machte die Wohnungstür auf. Im Treppenhaus hing Bratengeruch.
    »Beeil dich!«, sagte Rico.
    »Hast du ihr gesagt, dass du nicht mit ihr wegziehen willst?«
    »Zehnmal.«
    »Und das Mädchen in deinem Zimmer?«
    »Mal sehen«, sagte er. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und machte sich auf den Weg. Rico sperrte die Wohnungstür zu – bei einem Windzug schnappte manchmal das Schloss auf und stellte sich vor die Tür seines Zimmers. Er lauschte. Kein Geräusch. Er legte das Ohr an die Tür.
    »Julika?«, sagte er leise.
    »Ich hab schon vorgehabt dir zu schreiben, aber dann hatte ich keine Zeit«, sagte er, das Gesicht nah am Türrahmen, auf dem Flur.
    »Du hättest mich anrufen können«, sagte sie, das Gesicht nah am Türrahmen, im Zimmer.
    »Ich hab deine Nummer verloren«, sagte er. Er kniete, die linke Hand flach an der Tür, auf dem grauen Teppich.
    »Du hast mich sofort vergessen«, sagte sie. Sie hockte, beide Hände neben sich aufgestützt, im Schneidersitz mit gestrecktem Rücken auf dem Boden.
    »Nein«, sagte er.
    Dann schwiegen sie. Wehrlos musste er an Rosa denken und wurde wütend. Julika sah wieder ihre verzurrte Mutter vor sich und presste fest die Augen zusammen und hielt die Luft an, bis das Bild verschwand.
    Weil die Stille ihn störte, fragte er: »Wars in Ordnung bei deiner Tante?«
    »Ich war nicht dort.«
    Er kam nicht dazu weiterzufragen.
    »Ich hab dich angelogen«, sagte sie. »Ich geh nicht zu meiner Tante, die verrät mich.«
    »Wo warst du in der Nacht?«
    »Nirgends.«
    Er überlegte, wo das sein könnte.
    »Ich war im Hotel«, sagte sie.
    »In welchem?«
    »In dem, wo ich mit meinen Eltern war.«
    »Das ist doch teuer!«
    »Ja.«
    »Warum bist du nicht hier geblieben?«
    »Hab mich nicht getraut.«
    In ihr Tagebuch hatte sie geschrieben: Er hat mich nicht angesehen, seine Augen haben nur so getan, er ist in das Lokal gekommen, hat mich angeschaut und nicht gewusst, wer ich bin. Er hat schon gewusst, wie ich heiße, er hat mich schon wieder erkannt, aber er hat vergessen gehabt, wer
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