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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter
Autoren: Friedrich Ani
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ich bin, für ihn, was ich ihm bedeute.
    »Woran denkst du?«, hörte sie ihn fragen. Bewegungslos hockte sie da, die Beine über Kreuz, und ihre Füße waren kalt.
    »Ob du Angst hast.«
    »Wovor denn?«
    »Dass ich da bin.«
    Er wusste nicht, was er tun sollte, das war alles. Er nahm die Hand von der Tür und gab sich Mühe, demonstrativ zu schweigen.
    Sie krümmte sich ein wenig. Ihre Hände waren kalt wie ihre Füße, der dünne Teppich mit den schwarzen Streifen und Flecken wärmte nicht. Am Rand der Tür, bemerkte sie, splitterte der Lack ab, in der Mitte sah die Tür aus wie von der Sonneneinstrahlung verzogen. Das alles bemerkte sie wie mit fremden Augen, den Staub auf den Regalen, die spärliche Einrichtung, das schmale Bett mit dem Metallgestell, unter dem Kisten und Schachteln lagen, den Geruch nach alten Mauern – das alles hatte sie wahrgenommen ohne darüber nachzudenken, wie stark sich diese Wohnung von der ihrer Eltern unterschied. Wie sehr sich das gelbe Haus, aus dem sie fortgegangen war, von diesem graubraunen unterschied, und das Viertel, in dem sie gelebt hatte, von dem, in dem Rico lebte. Das hatte keine Bedeutung. Sogar wenn Rico in einer Gegend voller Bruchbuden hausen würde, würde sie keinen Gedanken daran verschwenden, mit ihm woanders sein zu wollen. Sie wollte da sein, wo er war, und nirgendwo sonst. Sie wollte, dass er sich in ihrer nur für ihn reservierten Nähe nicht fürchtete, auch wenn ihr Auftauchen ihn mehr verstörte als sie erwartet hatte. In ihr Tagebuch hatte sie nachts im Hotelzimmer geschrieben: Zum Abschied hat er mir die Hand gegeben und mich zu sich nach Hause eingeladen, für morgen. Er hat mich gefragt, wie ich zu meiner Tante komme. Mit dem Taxi, habe ich gesagt, vorher gehe ich aber noch spazieren. Das habe ich auch getan, und ich bin auch mit dem Taxi gefahren, weil ich nicht mehr wusste, wo das Hotel liegt.
    Ich darf Rico keine Worte in den Mund legen, die er nicht selber aussprechen möchte, ich darf ihm nicht einmal sagen, dass sein Schweigen jedes Mal ein Geschenk für mich ist.
    »Wieso denkst du, ich hab Angst vor dir?«, sagte er laut.
    »Rico?«, sagte sie leise. Er schwieg.
    »Soll ich gehen?«, fragte sie. Jetzt hatte sie Angst vor seiner Stimme wie vor einem unheimlichen Hund. Er schwieg.
    »Darf ich dir was sagen?«, fragte sie und rückte so nah an die Tür, dass ihre Knie dagegen stießen. Mit beiden Händen schob sie sich nach vorn, die Beine fest über Kreuz.
    Rico kniete immer noch vor der Tür, und der Rücken tat ihm weh und der Kopf, und er wollte aufstehen und dann… aufstehen und dann… dann hörte er ihre Stimme, und er konnte nicht weghören, das war schon so gewesen, als sie im »Eisenhans« getanzt hatten, und nachher auf dem Schiff, wo sie die Nacht… wo sie… Er beugte sich vor, um kein Wort zu versäumen, und hatte schon einige versäumt und versäumte noch mehr, weil er aufschrie, von einem Stich im Rücken.
    »… wieder in das Hotel gehen, das Zimmer… Was ist, Rico?«
    »Nichts«, sagte er mit verzerrtem Gesicht.
    »Ich möchte dir sagen, ich hab dich nicht überfallen wollen…«
    Hast du nicht, wollte er sagen, aber er traute sich nicht, er war sich nicht sicher, ob es stimmte. Wie zuvor hatte er die Hand flach an die Tür gelegt. Jetzt hatte er schon wieder Worte von ihr versäumt.
    »… niemand, zu dem ich Vertrauen hab, zu Miriam natürlich, ohne sie und Adrian wäre ich nicht… Ich kann im Hotel bleiben, Rico…«
    »Was willst du?«, stieß er hervor.
    »Nicht mehr dort sein, wo ich herkomm«, sagte sie. »Nie mehr wieder.«
    »Ich bin…« Er musste noch einmal anfangen. »Du hast mich nicht überfallen, du hast mich höchstens… Und wenn die Polizei doch kommt?«
    »Damals haben sie mich auch nicht gefunden.«
    »Wann damals?«, fragte er. Was hatte er wieder vergessen? Er würde sich sofort entschuldigen, wenn sie ihm sagte…
    »Das hab ich dir verschwiegen«, sagte sie. »Meine Eltern wussten nicht, dass ich in die Kneipe geh, in den ›Eisenhans‹…«
    »Du hast mit ihnen telefoniert, ich hab dich vom Deck aus gesehen.«
    »Hab nur so getan.«
    »Du bist eine Schauspielerin.«
    »Noch nicht«, sagte sie.
    »Willst du Schauspielerin werden?«
    »Ja«, sagte sie. Und noch einmal, mit weit geöffneten Augen, als könne Rico sie sehen: »Ja, das will ich.«
    »Hat dich die Polizei gesucht?«
    »Mein Vater hat sie aufgehetzt. Aber sie hatten keine Ahnung, wo ich war. Die Stadt war meinen Eltern so fremd wie mir,
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