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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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Wissenschaft. Davon, dass die Psi-Kräfte im Kommen seien. Das hatte er doch gemeint, oder? Troller hätte ihn gestern Abend gern danach gefragt, aber er war ja nicht gekommen, der Chaot. Troller wollte es nicht wahrhaben, aber er hatte sich doch über Kranich geärgert. Er hatte sich sogar Sorgen gemacht.
     
    In der Redaktion begann er die Post durchzusehen. Die meisten Briefe setzten sich kritisch mit einem Artikel über neuere Erkenntnisse der Evolutionsbiologie auseinander, der im letzten Heft erschienen war. Ein Teil der Leserschaft konnte sich offenbar nicht mit der Erkenntnis des Evolutionsbiologen Row abfinden, dass der Einfluss der Erziehung auf die Entwicklung der Individuen erheblich geringer sei, als man bisher angenommen hatte. Von „pseudowissenschaftlichem Unsinn“ war die Rede, von „altem Wein (Blut!) in neuen Schläuchen (Gene!)“ und sogar von „faschistischer Rassentheorie in neuem Gewand“.
    Dabei waren für Troller diese Erkenntnisse eher tröstlich gewesen. Es war also gar nicht so schlimm, dass er Sarah so selten sah. Die Kinder schafften sich aufgrund ihrer genetischen Vorprägung sowieso die soziale Nische, die sie brauchten. Außerdem wurden sie von ihrer Peergroup viel stärker geprägt als durch ihre Eltern. Was hatten diese Dummköpfe dagegen?
    Die meisten anderen Briefe enthielten Mitteilungen über die neuesten Forschungsergebnisse wissenschaftlicher Institute, die alle erwarteten, dass in großer Aufmachung über sie berichtet wurde. Das war zwar in der Regel überflüssiger Kram, aber man konnte nie wissen. Troller warf sie allesamt in einen eigenen Waschkorb, den ein Volontär später für ihn vorsortierte.
    Dann hörte er den Anrufbeantworter ab. Kranich hatte sich noch nicht gemeldet.
Achselzuckend begann er mit der Überarbeitung des Artikels, den der freie Mitarbeiter über die neuesten Mittel zur Behandlung von Polyarthritis geschrieben hatte. Interessantes Thema und auch nicht schlecht geschrieben, er brauchte nur einen besseren Anfang, damit die Leser auf Anhieb begriffen, welche Bedeutung diese neuen Medikamente hatten. Rheumatische Polyarthritis entstand dadurch, dass das Immunsystem überreagierte und sich gegen den eigenen Körper wendete. Die neuen, gentechnologisch hergestellten Mittel versuchten, direkt auf das Immunsystem einzuwirken und es weniger aggressiv zu machen. Aber was, wenn sie über das Ziel hinausschossen und das Immunsystem zu sehr schwächten? Wären dann nicht auf einmal Tür und Tor geöffnet für alle möglichen anderen Krankheiten?
Als er den neuen Anfang für den Artikel gefunden hatte, musste Troller nur noch ein paar Absätze umstellen. Das war zwar Tüftelarbeit, machte ihm aber immer wieder Spaß. Zum Schluss vereinfachte er noch ein paar allzu umständlich gebaute Sätze, dann gab er den Artikel in Satz.
Nun musste er nur noch mit Hebold über die Marschroute für das nächste halbe Jahr sprechen. Drei- bis viermal im Jahr bekam die Wissenschaftsredaktion die Chance für einen Fazit-Titel. Dafür musste Monate im Voraus ein möglichst spektakuläres Thema gefunden werden – das Neueste über unser Universum, das Unheimlichste aus dem Genlabor, die allerletzte Theorie über die Entstehung der Arten oder Ähnliches. Als Hebold zum Brainstorming ins Zimmer kam, kramte Troller gerade in einem Ablagekorb, in dem, wie er ganz sicher wusste, sein Notizzettel liegen musste, konnte ihn aber nicht finden. „Ich weiß, dass er da ist“, murmelte er, „er muss hier sein, er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben. Es gibt hier offensichtlich jemanden, der in meinen Sachen herumwühlt.“
„Paranoia wäre auch mal ein Thema“, sagte Hebold. „Ist schon auf meiner Liste.“
„Vor allem Paranoia im Internet“, fuhr Hebold fort. „Da wimmelt es nur so von Ufos, Psi-Phänomenen, Aliens, Replikanten und den wildesten Weltverschwörungstheorien. Die Schwachköpfe hocken nur noch vor ihren Bildschirmen und verlieren jeden Kontakt zur Realität. Die virtuelle Realität ersetzt die richtige.“
„So wie die richtige Realität einst die Wirklichkeit ersetzt hat.“
    „Verstehe ich nicht.“
„Descartes“, sagte Troller. „Aber die Idee mit dem Psi-Kram ist gut. Das wäre jedenfalls ein Titel, der Auflage brächte: Der blinde Fleck im Auge der Wissenschaft. Ein neues Paradigma, Fragezeichen. Oder: Was ist hinter der Scheibe?“
„Hinter welcher Scheibe?“
Troller erklärte ihm die Sache mit dem Affenhaus.
„Die haben einfach keine
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