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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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sogar befreundet gewesen. Allenfalls „ein paar verrückte Umweltfanatiker“ hätten sich in der letzten Zeit gegen ihren Mann gewandt, weil er seine früher sehr radikalen Thesen über den Einfluss der Menschheit auf den Klimawandel der Erde ein wenig modifiziert und abgeschwächt hatte.
    Als Troller das Mineralwasser getrunken und sich einen Mango-Ananas-Shake bestellt hatte, fing er an, sich über Kranichs Geheimnistuerei zu ärgern. Erst zitierte der ihn zu diesem Vortrag, und dann hatte er auf einmal etwas anderes vor. Warum hatten sie sich nicht gleich hier verabredet? Vierzig Minuten wartete er jetzt schon.
Er ließ sich erneut die Speisekarte bringen und bestellte einen KiwiShake. Als er ihn getrunken hatte, war es zehn vor zehn. Bis um zehn gab er sich noch Zeit. Wenn Kranich bis dahin nicht da wäre, wurde er gehen.
Um zehn nach zehn verlangte er die Rechnung. Kranich war, was Verabredungen betraf, noch nie der Zuverlässigste gewesen, aber das ging jetzt zu weit. Wer hatte denn so geheimnistuerisch um dieses Treffen gebeten?
Troller bezahlte die Rechnung. Er würde Kranich anrufen. Morgen. Er stand auf und ging.
Es war eine warme, schwüle Nacht. Ein Gewitter kündigte sich an.

DER FALL
     
    Als er am Morgen die Haustür öffnete und ins Freie trat, schlug ihm die vom nächtlichen Regen noch frische Sommerluft entgegen. Mit einem unerwarteten Glücksgefühl, wie er es lange nicht mehr erlebt hatte, ging Troller zu seinem Auto. Er musste sich beherrschen, nicht wie ein Kind zu hüpfen. Es war wunderbar dieses Leben, wunderbar, dass er heute Nachmittag aufs Land fahren, ein bisschen joggen und an seinem Buch weiterarbeiten konnte.
    Viel zu tun war nicht mehr in der Redaktion. Routineprogramm. Ein paar Korrekturen an dem Artikel eines freien Mitarbeiters, ein kurzes Brainstorming mit Hebold, seinem engsten Mitarbeiter, über die Konzeption neuer Artikel; die Post durchsehen, E-Mails lesen, den Anrufbeantworter abhören und Schluss. Er hatte eine Auszeit mehr als nötig. Als er in den Volvo stieg, dachte er kurz daran, das Fahrrad zu nehmen, aber dazu war die Zeit zu knapp. Er musste zusehen, dass er nachher so früh wie möglich los kam, je später er fuhr, desto sicherer stand er im Stau.
    Als er den Kurfürstendamm hinunterfuhr, dachte er an Sarah. Er nahm sich fest vor (aber wie oft hatte er das schon getan?), sich ihr wieder mehr zu widmen, er würde ihr das Fahrradfahren beibringen und endlich mal wieder mit ihr in den Zoo gehen. Das letzte Mal war es noch Winter gewesen, und die Tiere hatten alle in engen Käfigen hinter Glas gehockt oder waren wie die Idioten im Kreis herumgelaufen. Er hatte sich darüber gewundert, dass sie keine Notiz von den Menschen nahmen, die an ihren Käfigen vorbeispazierten oder davor stehen blieben und ihnen beim Gefangensein zuschauten. Waren sie so abgestumpft, dass es ihnen schon egal war, wer da auf der anderen Seite der Glasscheibe stand? Oder existierte die Welt hinter der Scheibe gar nicht für sie, so wenig, wie die Welt auf dem Bildschirm eines Fernsehers? Von Schlangen, Lurchen, Nerzen, Wieseln, selbst von Hyänen oder Löwen erwartete man ja nichts anderes, aber wie war es mit unseren Verwandten, den Affen? Als Troller vor ein paar Monaten mit Sarah im Affenhaus gewesen war, hatten beide durch Klopfen, Winken und Grimassenschneiden versucht, die Aufmerksamkeit der Gorillas auf sich zu lenken, und waren damit kläglich gescheitert. Die Burschen dachten nicht daran zurückzuwinken. Sie schienen gar nicht zu bemerken, was auf der anderen Seite der Scheibe war. Das Draußen, die Welt hinter der Scheibe, existierte für sie nicht.
    Wenn es uns selber nun auch so ginge, dachte Troller. Wenn unser eigenes Leben sich auch auf einer Bühne abspielte, ohne dass wir die Zuschauer bemerkten? Die alten Griechen hatten noch dieses Lebensgefühl gehabt, das Gefühl, ihre Daseinstragödie vor einer zuschauenden Götterschar aufzuführen. Aber wir, wir Heutigen? Wir haben den unsichtbaren Zuschauer in unser Inneres verlegt und fühlen uns wer weiß wie erhaben über unsere Vorfahren. Aber was, wenn sie Recht gehabt hatten? Wenn es die Scheibe nun doch gibt? Wenn es dahinter nur so dunkel geworden wäre, dass wir in der Scheibe immer nur uns selbst erblickten?
     
    Er fuhr an der Urania vorbei. Hatte Kranich nicht etwas Ähnliches gesagt? Er hatte zwar nicht von einer Scheibe gesprochen, aber von einer Mauer. Von der Mauer in unserem Bewusstsein. Vom blinden Fleck im Auge der
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