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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener
Autoren: Peter de Rosa
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Gefangener der Geschichte ist. Doch die meisten
Fesseln sind geistiger Art.
    Der Papst kann niemals
sprechen, ohne zu berücksichtigen, was seine Vorgänger zum gleichen oder einem
verwandten Thema gesagt haben. In jeder päpstlichen Enzyklika kommen auf ein
Bibelzitat wahrscheinlich bis zu ein Dutzend Zitate von früheren Päpsten. Alle
Päpste fahren nach dem Rückspiegel. Eine seit langem tote Vergangenheit, oft
Tradition genannt, diktiert die Straße in die Zukunft. Ein toter Papst ist
mächtiger als tausend lebende Bischöfe.
    »Pax vobiscum«, sagt der Papst. »Friede sei
mit euch.« Die Gläubigen umarmen einander und geben dieses Zeichen des Friedens
weiter. Doch wer die Last des unfehlbaren Amtes trägt, kann nicht immer ein
Mann des Friedens sein: Er bringt auch das Schwert. Denn er kann es sich nicht
leisten, aus angeblichem Erbarmen auch nur einmal den geringsten Fehler in der
Lehre oder Moral zu machen oder zu riskieren. Er muß darauf achten, keinem
Papst von vor sieben oder zehn Jahrhunderten zu widersprechen. Kein Wunder, daß
seine Kurie Neuheit und Originalität nicht immer auseinanderhalten kann.
     
    Papst Johannes Paul empfängt
den Leib und das Blut Christi mit andächtig geschlossenen Augen. Überall in der
Basilika erscheinen Priester in Chorrock und Stola, um Kommunion auszuteilen,
den Gläubigen den Leib Christi zu reichen. Die Kirche selbst wird Leib Christi
genannt. Durch den Empfang der Kommunion vereinen sich die Gläubigen mit ihrem
gekreuzigten und auferstandenen Herrn und all ihren Mitchristen, Lebenden und
Toten. Die kleine Hostie verbindet sie sakramental mit der ganzen Geschichte
der Kirche.
    Diese Geschichte ist gut und
schlecht gewesen, voll von heldenmütigen Taten und infamen Verbrechen. Der
Papst ist Gefangener selbst dieser Verbrechen. Er weiß, daß die Kirche
verantwortlich war für die Judenverfolgung, die Inquisition, für die Massaker
an Tausenden von Ketzern, für die Wiedereinführung der Folter in Europa als
Mittel gerichtlicher Wahrheitsfindung. Doch er muß sich vorsehen. Die Lehren,
die für diese furchtbaren Dinge verantwortlich sind, untermauern seine Position
noch heute. Die Methoden mögen sich ändern — das Ziel bleibt dasselbe. Die
ganze Welt muß dazu gebracht werden, Christus und seine Kirche anzuerkennen.
Unter der Führung und Leitung des Papstes hat die katholische Kirche die
Wahrheit in Fülle, der sich andere Religionen bestenfalls annähern können.
    Johannes Paul betet, während
die Kommunion ausgeteilt wird — er würde es nicht wollen, daß man denkt,
Erbarmen sei unvereinbar mit Unbeugsamkeit gegenüber der Wahrheit. Die
Freiheit, den Irrtum zu lehren, hält er für verfehlt. Wie kann jemand das Recht
haben, als wahr zu lehren, was die Kirche für unwahr oder unmoralisch hält? Wie
jeder Papst hält er es für selbstverständlich, daß die Kirche da, wo sie stark
ist, ihre Macht nutzen muß, um zu unterbinden, was sie verdammt. Pius IX., der
in ebendieser Basilika 1870 für unfehlbar erklärt wurde, war hierin recht
deutlich. In den Archiven des Foreign Office in London lagert ein Brief vom 15.
Februar 1865 mit dem Vermerk »Vertraulich«. Er ist von Odo Russell, dem
Vertreter der britischen Regierung im Vatikan. Er berichtet, was der Papst in
einer Audienz zu ihm sagte: »Jene Gewissensfreiheit und Toleranz, die ich hier
verdamme (in Rom), beanspruche ich in England und anderen ausländischen Staaten
für die katholische Kirche.« Es ging Pius IX. nur um eine politische
Beurteilung: Würde die Kirche verlieren oder gewinnen, wenn sie anderen die
Freiheit verweigerte, die sie für sich selbst forderte?
    Wie der gegenwärtige Papst war
Pius IX. überzeugt, daß die Kirche es vermocht habe, die Jahrhunderte mit
unveränderter Lehre zu überdauern. Die Gläubigen im Petersdom teilen diese
Überzeugung und meinen, vor allem das Papsttum sei verantwortlich für diese an Wunder
grenzende Kontinuität.
    In Wahrheit hat die Kirche ihre
Lehre selbst zu wichtigen Themen wie Sex, Geld und Erlösung radikal geändert.
    Nehmen wie zwei der
interessanteren Beispiele.
    Jeder Papst bis einschließlich
zum 19. Jahrhundert hat Geldverleihen gegen Zinsen (Wucher) unter allen Bedingungen verdammt. Es war unwichtig, ob die Zinsen hoch oder niedrig waren,
ob das Geld einem armen Bauern oder einem Kaiser geliehen wurde. Jahrhunderte
nachdem bäuerliche Gemeinschaften aufgehört hatten, die Norm zu sein, hat die
Kirche an ihrer Verurteilung des Wuchers festgehalten,
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