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Gott sacker Kriminalroman

Titel: Gott sacker Kriminalroman
Autoren: Michael Boenke
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geeignet.
    Ich hob das lederne Laufutensil vorsichtig vom Riedboden auf,
ließ es aber schnell wieder fallen, als ich die gelblichweißen Maden auf der
Erde sah, die mich mit ihren schwarzen punktförmigen Augen missachteten.
    Pfui Teufel, hier hat wohl jemand seinen Müll entsorgt –
inklusive Schlachtabfälle.
    Meine Neugierde musste nun gestillt werden und ich lief zur
Südseite der Kapelle zum Eingang, denn dort schien der Gestank als greifbare
Wolke in der Luft zu hängen.
    Und von dort kam mir auch die Prozession entgegen. Es sah
eigenartig aus, hintereinander in einer Linie zogen sie mir entgegen, obwohl
sie langsam waren, schien es mir, als ob sie es eilig hätten. Auf dem Boden
krabbelte eine weiße Prozession des Todes. Hunderte von Maden verließen die
Kapelle durch die Tür, die einen Spalt geöffnet war.
    Vorsichtig schaute ich durch den Spalt zwischen Holztür und
Mauer, bis ich den Ausgangspunkt ihrer Wanderung entdeckte: Das Entsetzen
entlockte meinen trockenen Stimmbändern ein knarziges »Heilandzack!«.
    Was da auf dem Boden der zerfallenen Kapelle durch den engen
Ausschnitt der Tür zu sehen war, war ein Mensch – gewesen. Das Gebrumme, die
Hitze, der Gestank, alles war mir plötzlich unerträglich. Schnell drehte ich
um, ohne die Kapelle zu betreten, und stolperte über alte Backsteine und rannte
wenige Schritte weg vom Gemäuer. Dann drehte ich jedoch um und ging, widerlich
vom Unfassbaren angezogen, noch einmal zum Eingang, zur alten Holztür, die
schief in den Angeln hing. Ich zog meine kleine Digitalkamera aus der Tasche
und hielt sie, ohne mir das makabre Bild live anzuschauen, so weit wie möglich
zum Türspalt hinein, ohne den Raum betreten zu müssen. Ich bewegte die Kamera
in meiner Hand in alle Richtungen und schoss so einige Bilder von dem, was ich
nicht sehen konnte und wollte. Immer wieder drückte ich den Auslöser und
benutzte die Zoom- und Weitwinkelfunktion meiner Kamera.
    Dann entfernte ich mich vom süßlich tranigen Geruch des Todes
und vom unaufhörlichen Summen der fetten Fliegen, die einen Kinderhort für
ihren madigen Nachwuchs suchten. Ich drehte mich noch einmal kurz um und machte
ein paar Fotos vom windschiefen Sakralhäuschen. Romantisch, wie es hier mitten
im Ried, nur 20 Meter von der sanierungswürdigen Landstraße entfernt, dem
langsamen Verfall preisgegeben war. Ohne das widerlich süße Parfum des Todes,
ohne den makabren Inhalt – eigentlich ein schöner Ort für ein Schäferstündchen.
Bis jetzt war ich immer nur daran vorbeigecruist, hatte es in seiner schiefen
Architektur eher belächelt. Plötzlich hatte ich einen sakralen Respekt vor
diesem Gebäude. Und das nur, weil die kirchliche Form und der modernde Inhalt
für mich nicht mehr korrespondierten.
    Als ich meinen Helm sah, dessen Visier immer noch leicht
verschmiert war, musste ich mich neben meinem Motorrad übergeben. Ich ahnte,
welche letzte Mahlzeit das Insekt zu sich genommen hatte, bevor es durch einen
Zusammenprall mit meinem Visier schlagartig vom Leben zum Tode geführt wurde.
Und ich hatte es mit meiner Spucke und meinem Daumennagel vom Helm entfernt.
    Ein weiterer Strahl Erbrochenes landete nahe der Spitze
meiner Schlangenleder-Cowboystiefel.
    Herrschaftsechse – das hätte noch gefehlt, 780 Euro, weiße
Python aus Brasilien.
    Um meinen Fuß war die Python gepaart mit einem braunen
Rindsleder. Beide lebten auch nicht mehr. Alles um mich herum schien nicht mehr
zu leben. Nur diese verdammten Fliegen. Ärgerlich wedelte ich mit beiden Armen,
um die lästigen Insekten zu verscheuchen. Aus einem meiner vielen und
abgebrochenen Studiengänge wusste ich noch, dass man diese Drecksbiester auch
›Totenfliege‹ nennt. Sogar ihr lateinischer Name ›Cynomyia mortuorum‹ war mir
erstaunlicherweise noch geläufig – das war schon immer mein Problem: Ich konnte
mir immer nur die unwichtigen Dinge merken.
    Der Hinterleib der Totenfliege ist grünblau und metallisch
glänzend, der Thorax ist deutlich dunkler. Die Facettenaugen sind rot gefärbt
und die Wangen des Fliegenkopfes sind gelb-rot. Ich kenne sie gut, immer wenn
ich Fisch auf den Grill lege, bevorzugt die Forellen aus dem Bach Ostrach,
zählen sie zu meinen unbeliebteren Gästen.
    Die Polizei.
    Ich kramte nach meinem Handy, suchte nervös die
Einschalttaste, bis ich bemerkte, dass ich meine Digi-Cam in der Hand hatte.
Der zweite Versuch förderte mein himmelblaues Antik-Handy aus der Tasche.
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