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Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Gotland: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Håkan Östlundh
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Wirtschaft einordnen.
    Ein Vorstandsmitglied von Pricom hatte sich das Leben genommen, nachdem er zuvor seine Frau und die siebenjährige Tochter erschossen hatte. Falls Arvid richtig informiert war, typisch Japaner. Misserfolge verkrafteten sie nicht. In gewisser Weise eine sehr hierarchische Einstellung. Offenbar konnten sie sich nicht damit abfinden, dass Menschen in modernen Gesellschaften die Leiter hochkletterten, hinunterfielen, wieder hochkletterten und aufgrund von persönlichen Entscheidungen, ihrer Leistung und manchmal auch wegen Ereignissen, die sie nicht beeinflussen konnten, ständig neue Positionen bekleideten. In dieser Welt war kein Platz für Ehre und Scham.
    Arvid hielt sich die Hand vor den Mund, um ein unfreiwilliges Gähnen zu verbergen.
    Kristina war vom Küchentisch aufgesprungen und zum Frühstücksfernsehen im Wohnzimmer geeilt. Die Frau mit den roten Locken, dem freundlichen Lächeln und den leicht betrübten Augen sprach über London. Auf dem Großflughafen Heathrow bei London war Feuer ausgebrochen.
    Eine warme Welle brandete über Kristina. Der Flughafen brannte. Ein Unglück, Terror, Bomben, eine Laune des Schicksals, Tod, Vernichtung.
    Hoffnung flackerte in ihr auf.
    Die Wärme blieb bei ihr. Kristina umarmte sie, wollte sie festhalten, weil sie ihr Herz weich einbettete und ihrer Seele Frieden schenkte. Bilder tauchten auf, Bilder von der Zukunft. Vertraute Bilder. Sie würde so weiterleben können wie in den letzten beiden Jahren. Für den Rest ihres Lebens könnte sie so weiterleben. Nein, besser. Keine kalte Angst mehr, keine kurzfristigen Besuche, keine täglichen Anrufe um Punkt vierzehn Uhr, keine Tage, an denen sie jeden Augenblick damit rechnen müsste, dass er etwas witterte, sie mit seinem feinen Spürsinn entlarvte und alles zerstörte, was ihr wichtig war. Es würde nur das Jetzt geben.
    »Der Brand ist unter Kontrolle. Den Angaben der Rettungskräfte zufolge ist niemand zu Schaden gekommen, ein Vertreter der Flughafenleitung sagte jedoch, die Fluggäste müssten mit bis zu zehnstündigen Verspätungen rechnen.«
    Die Frau mit den roten Locken entriss ihr die Wärme. Kristina erschauerte.
    Die Hoffnung erlosch.
    Dann senkte sie beschämt den Kopf. Nicht genug, dass sie ihn betrog. Sie hoffte, dass er starb. Sie wünschte einem anderen Menschen den Tod. Trotzdem fand sie ihre Scham nicht angemessen. Sie schämte sich nur, wenn die Wärme verschwand, und kein vernünftiger Gedanke konnte sie dann davon abbringen, dass sie schlecht war. Wer war sie? Hörte das denn nie auf?
    Habe ich denn nicht das Recht zu hoffen, darf ich mir denn nicht etwas Besseres wünschen? Hilflos versuchte sie, sich zu verteidigen. Was bin ich bloß für ein Mensch? Sitze hier vor dem Fernseher und gebe mich einer idiotischen Hoffnung hin, anstatt längst mit der Kosta-Boda-Vase und dem Geld vom Autoverkauf im Zug nach Bergen zu sitzen? Wer bin ich überhaupt?
    Sie ging in Arvids Arbeitszimmer und stupste die Maus an, um den Computer aus dem Ruhezustand zu wecken. Als der Bildschirmhintergrund sichtbar war, klickte sie auf den Flight Tracker. Arvids Flugnummer hatte sie bereits eingegeben. Was die Rothaarige im Fernsehen gesagt hatte, war richtig. Drei Stunden Verspätung. Frühestens um vier würde er in Visby ankommen. Falls von Stockholm aus alles ausgebucht war, sogar noch später.

5
     
    Anders Traneus trat hinaus auf die Glasveranda. Unter seinen Füßen knarrten die Dielen. Er wollte ihr keine Vorwürfe machen, aber seine Gedanken drehten sich im Kreis und kehrten immer wieder zu ihr zurück. Man konnte sich einfach nicht auf sie verlassen. Schnell an etwas anderes denken. Kristina. Es ist nicht leicht, jemanden zu beschuldigen, den man liebt. Ohnehin machte er sich selbst am meisten Vorwürfe. Er hatte denselben Fehler schon einmal begangen. Wie blöd konnte man eigentlich sein? Immer wieder landete er bei dieser Frage: War es Dummheit, oder hätte er es auch getan, wenn er geahnt hätte, wie es ausgehen würde?
    Siebenundvierzig Jahre. Die Lebensmitte war überschritten. Manchmal fühlte er sich noch jung. Sein Körper war fit und wies keine Anzeichen des nahenden Alters auf. In den letzten Jahren war sein zugegebenermaßen recht eintöniges Leben offener und freudiger geworden. Beim Gedanken daran, dass er diese Freude wieder verlieren könnte, wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr viel Spielraum hatte. Er konnte nicht mehr einfach eine andere Richtung einschlagen und von vorn anfangen.
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