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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park
Autoren: Martin Cruz-Smith
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sagte er statt eines Abschiedsgrußes.
    Arkadi fuhr mit einem Dienstwagen Richtung Osten. Der Moskwitsch war ein träges, untermotorisiertes Fahrzeug; trotzdem hätte er gern einen als Privatwagen gehabt. Auf den breiten Strassen waren um diese Zeit fast nur noch Taxis unterwegs. Arkadi dachte während der Fahrt an Major Pribluda, der bisher noch nicht angerufen hatte, um die Ermittlungen an sich zu ziehen.
     
    Er fuhr zur Kalajewskaja-Strasse 43: zum Moskauer Stadtgericht, einem alten Klinkerbau. In Moskau gab es insgesamt 17 Volksgerichte, aber Kapitalverbrechen wurden vor dem Stadtgericht verhandelt, das deshalb die Auszeichnung genoss, von der Roten Armee bewacht zu werden. Arkadi zeigte den beiden blutjungen Soldaten am Eingang seinen Dienstausweis. Im Keller weckte er einen Korporal auf, der an seinem Tisch zusammengesunken schlief.
    »Ich muss in den Käfig.«
    »Jetzt?« Der Korporal sprang auf und knöpfte seinen Uniformrock zu.
    »Wenn’s keine Umstände macht!« Arkadi hielt ihm den Schlüsselring und die Pistole hin, die der Korporal auf dem Tisch liegengelassen hatte.
    »Käfig« wurde das Archiv im Keller des Gerichtsgebäudes genannt, weil es mit einem Eisengitter gesichert war. Arkadi zog die Fächer Dezember und Januar auf.
    »Wollen Sie uns nicht eine heiße Tasse Tee auf Ihrer Kochplatte machen?« schlug Arkadi dem verlegen dastehenden Korporal vor.
    Er suchte nach Belastungsmaterial gegen Pribluda. Mit drei Leichen und einem Verdacht gegen den Major war nicht viel anzufangen; ganz anders sähe die Sache aus, wenn er drei Straftäter fände, die vom Stadtgericht an den KGB überstellt worden waren. Der Chefinspektor überflog eine Karteikarte nach der anderen, sonderte die zu jungen und zu alten Personen aus und achtete auf Familienstand und Arbeitsverhältnis der Straftäter. Die drei Leichen im Gorki-Park waren wohl monatelang weder von Familienangehörigen noch Arbeitskollegen vermisst worden.
    Bei einer Tasse Tee machte er sich über den Februar her. Zusätzliche Schwierigkeiten bereitete die Tatsache, dass zwar alle Kapitalverbrechen vors Stadtgericht kamen, aber bestimmte Straftäter, an denen der KGB ebenso interessiert war - Dissidenten und sogenannte Parasiten -, manchmal von Volksgerichten abgeurteilt wurden, weil sich dort das Publikum leichter kontrollieren ließ. Arkadi schloss die Schubfächer und stand auf.
    »Haben Sie gefunden, was Sie suchen?« Der Korporal schloss hinter Arkadi ab.
    »Nein.«
    Der Korporal salutierte, und Arkadi verließ den Keller.
    Der Vorschrift gemäß hätte Arkadi den Dienstwagen zurückbringen müssen. Statt dessen fuhr er nach Hause. Es war schon nach Mitternacht, als er im Osten der Stadt von der Taganskaja-Strasse in einen Innenhof zwischen Wohnblöcken abbog. In seiner Wohnung brannte kein Licht mehr. Arkadi schloss die Haustür auf, stieg die Treppe hinauf und öffnete seine Wohnungstür so leise wie möglich.
    Er zog sich im Bad aus, putzte sich die Zähne und nahm seine Sachen mit ins Schlafzimmer hinüber.
    Das Schlafzimmer war der größte Raum der Wohnung. Auf dem Schreibtisch stand eine Stereoanlage.
    Arkadi nahm die Schallplatte vom Plattenteller und las den Titel im schwachen Licht am Fenster:
    Aznavoura l’Olympia. Neben der Stereoanlage standen zwei Wassergläser und eine leere Weinflasche.
    Sonja schlief. Sie hatte ihr langes goldblondes Haar zu einem Zopf geflochten. Die Bettwäsche duftete nach dem Parfüm »Moskauer Nacht«. Als Arkadi unter die Decke schlüpfte, öffnete Sonja kurz die Augen.
    »Du bist spät.«
    »Tut mir leid, aber wir haben einen Mord aufzuklären. Sogar drei Morde.«
    Er beobachtete, wie Sonja auf diese Mitteilung reagierte.
    »Asoziale«, murmelte sie verschlafen. »Deswegen warne ich die Kinder davor, Kaugummi zu kauen. Zuerst Kaugummi, dann Rockmusik, danach Rauschgift und … «
    »Und?« Arkadi erwartete, dass sie Sex sagen würde.
    »Und Mord.« Nachdem Sonja diese Grundregel formuliert hatte, sank sie wieder in tiefen Schlaf.
    Sonja, das Rätsel, mit dem er schlief.
    Eine Minute später schlief auch Arkadi von Müdigkeit überwältigt ein. Im Traum schwamm er in schwarzem Wasser und tauchte mit geschmeidigen, kraftvollen Bewegungen in noch dunklere Tiefen hinab. Als er eben daran dachte, an die Oberfläche zurückzukehren, gesellte sich eine schöne Frau mit langem dunklen Haar und blassem Gesicht zu ihm. Sie nahm ihn - wie jedesmal - an der Hand. Die Unbekannte, das Rätsel, das er träumte.
    Sonja stand
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