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Goldfasan

Goldfasan

Titel: Goldfasan
Autoren: J Zweyer
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endlich schräg über die Mont-Cenis-Straße in Richtung des Bunkers liefen. »Da kommt man einmal an Kinokarten und dann das. Und am Ende handelt es sich mal wieder um Fehlalarm.«
    »Meinst du wirklich?«, fragte Lisbeth ängstlich.
    »Klar. Das war doch meistens so.«
    Die beiden Frauen waren durch Glück und Beziehungen an die Eintrittskarten für den Film Das große Spiel mit René Deltgen, Gustav Knuth und Hilde Jansen gekommen. Seit Tagen schon hatten sie sich auf die Veranstaltung im Kino Käseberg, so der Spitzname für das Lichtspielhaus im Herner Stadtteil Sodingen, gefreut.
    In der Schlange vor dem Bunkereingang hoffte Lisbeth: »Vielleicht behalten die Karten ja ihre Gültigkeit und wir können uns den Film ein andermal in voller Länge ansehen.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht«, erwiderte Marianne Berger. Sie war vor Kurzem sechsunddreißig geworden und damit unwesentlich älter als ihre Freundin Lisbeth Golsten. Im Gegensatz zu dieser führte sie einen unablässigen Kampf gegen die Pfunde, selbst in diesen Zeiten, in denen Lebensmittel rationiert waren. Deshalb war sie etwas außer Atem von dem Lauf. »Der Film war doch schon fast zu Ende. Außerdem gibt’s nur ein paar Vorstellungen.«
    »Schade. Jetzt wissen wir nicht, ob Grete nun den Werner oder den Jupp bekommt. Und was mit der Annemarie wird.«
    Eine Frau vor ihnen mischte sich in das Gespräch ein, vom Luftalarm anscheinend ebenso unbeeindruckt wie Marianne. »Redet ihr vom Großen Spiel? «
    »Ja.«
    »Willze den Schluss wissen? Ich hab den Film nämlich ganz gesehen.«
    Die Schlange rückte durch die Schleuse weiter vor. Von fern war ein leises Brummen zu hören.
    »Zügig weitergehen!«, rief der Luftschutzordner. »In der Reihe bleiben. Und aufschließen.«
    Als sie im Inneren des Bunkers angelangt waren, setzten sich die Frauen dicht nebeneinander auf eine der Holzbänke.
    »Wupperbrück gewinnt drei zu zwei, Grete bleibt beim Jupp und der Werner erinnert sich wieder an seine Annemarie. Allet so, wie et sich gehört. Damit sich keiner unserer Helden anner Ostfront Gedanken um die Moral seiner Liebsten machen muss.«
    Das Brummen wurde lauter. Noch immer drängten Menschen in den Schutzraum, schoben die Glücklichen, die meinten, schon einen Platz gefunden zu haben, weiter nach hinten, ließen sich, wenn sie eine freie Stelle fanden, auf den Betonboden zwischen den Bänken fallen. Schließlich hielten sich mehr als zweihundert Schutzsuchende in dem Raum auf, der eigentlich nur Platz für einige Dutzend bot.
    Das Brummen wurde zum Dröhnen. Erschrocken blickten die Menschen an die Decke, so als ob sie durch meterdicken Beton die feindlichen Flugzeuge sehen könnten. Lisbeth Golsten griff den Arm ihrer Freundin.
    Die deutete die Geste richtig. »Mach dir keine Sorgen. Ich hab doch gesagt, das ist ein Fehlalarm. Die schmeißen ihre Bomben nicht auf Herne. Die wollen nach Bochum. Oder zu den Treibstoffwerken nach Wanne oder Castrop.«
    »Aber die Zeche …«
    »Ach was. Glaub mir, ich …«
    Ein dumpfer Knall war zu hören. Unmittelbar darauf erzitterten die dicken Betonmauern. Ängstliche Schreie erklangen.
    »Nur Fehlalarm, wa«, giftete eine ältere Frau. »Dumm nur, dat dat der Feind nich mitgekricht hat.«
    Erneut ging eine heftige Erschütterung durch das Gebäude. Das Licht flackerte, ging für einen Moment ganz aus. Eine weitere Detonation war zu hören.
    »Von wegen. Gezz knallt’s.«
    Einige Frauen schluchzten hysterisch. Andere schlugen verängstigt die Hände vor ihre Gesichter. Manche murmelten ein Gebet. Mütter nahmen ihre Kinder schützend in die Arme. Der Geruch von Schweiß und Urin legte sich wie eine stinkende Hundedecke über die Bunkerinsassen.
    Lisbeth Golsten war zum ersten Mal in einem Hochbunker. Bei den wenigen Bombenalarmen bisher hatte sie in einem Luftschutzkeller in der Teutoburgia-Siedlung Schutz gesucht, ganz in der Nähe ihres Hauses, das sie nach dem Tod ihrer Mutter gemeinsam mit ihrem Mann Peter und ihrem Vater bewohnte. Nun hatte sie Todesangst. Ihr Herz raste. Und dann kam noch etwas anderes dazu.
    »Ich muss zur Toilette«, jammerte Lisbeth Golsten.
    Ihre Freundin schüttelte den Kopf. »Da stehen sie jetzt Schlange. Entweder du nimmst den Notabort«, Marianne Berger zeigte auf eine Art Mülltonne am Ende des Schutzraumes, »oder du hältst aus, bis Entwarnung kommt. Der Alarm kann ja nicht ewig dauern.«
    Wieder ein Einschlag, anscheinend noch näher. Ein Soldat sprang auf und versuchte, sich
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