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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat
Autoren: Andrea Schacht
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haute volée bei getragenen Klängen eines Kammerorchesters oder den pathetisch deklamierten Werken unserer Dichterfürsten amüsierten. Nein, es war Unterhaltung für Dienstmädchen und Arbeiter, für fesche Soldaten und stramme Wäscherinnen. Und für Kinder. Hier spielte in einem Pavillon am Rheinufer das preußische Musikkorps mitreißende Märsche, recht derbe Schwänke entlockten dem Publikum begeistertes Johlen, leicht bekleidete Tänzerinnen brachten die männlichen Zuschauer zum Schwitzen. Oder zum Pfeifen. Je nachdem, in welcher Begleitung sie sich befanden.
    Madame Mira begutachtete die beweglichen Damen auf der Bühne fachmännisch, meine siebenjährige Tochter hingerissen, der achtjährige Philipp hingegen schenkte seine Aufmerksamkeit lieber dem taumelnden Kreisel eines anderen Jungen. Mir kam das Gehüpfe ein wenig dilettantisch vor, aber es war vermutlich weniger die Kunstfertigkeit des Tanzes als die possierliche Darstellung halb entblößter, in der guten Gesellschaft nicht
erwähnbarer Körperteile, die den Reiz dieser Vorführung ausmachte.
    Dennoch, der Ausflug war ein Gewinn für uns alle. Er war Madame Miras Wunsch zu ihrem zweiundsiebzigsten Geburtstag, den ich ihr nur zu gerne erfüllt hatte. Sie genoss das bunte, laute Treiben, die klebrig süße Limonade und den Streuselkuchen genau wie meine Kinder. Die beiden aber betrachteten die Fahrt mit dem Dampfschiff von Köln nach Mülheim als den Höhepunkt des Genusses, und die Rückfahrt stand nun noch bevor. Ganz konnte ich dieses Vergnügen nicht teilen, Dampfmaschinen weckten in mir ein vages Unbehagen. Auch wenn Philipp mir die Arbeitsweise präzise erklärt hatte. Mochte der Himmel wissen, woher er seine Kenntnisse hatte. Aus der Elementarschule sicher nicht. Selbst Laura hatte er schon mit seiner Begeisterung für rußende Schlote, rotierende Schwungräder und dampfende Kessel angesteckt. Sehr zu Tante Caros Missfallen, die dieses Sujet als ein für Mädchen höchst ungeeignetes ansah.
    Ich hingegen verbat es Laura nicht, sich über die Dampfkraft kundig zu machen. Mir hatte man als Kind auch nie untersagt, mich mit all den Themen zu beschäftigen, die mein Interesse weckten.Vermutlich war das die Ursache allen Übels, das dann später über mich hereinbrechen sollte.
    Aber darüber nachzudenken verbot der heutige Tag. Der strahlend schöne Julinachmittag neigte sich dem Abend zu, und es war an der Zeit, die Heimreise anzutreten. Madame Mira erklärte sich bereit, mit den Kindern zur Anlegestelle zu gehen, während ich – je nun, die Limonade verlangte ihr Recht. Zu diesem Behufe jedoch gab es keine passenden Räumlichkeiten, aber ich hatte die Dienstmädchen auch schon mal heimlich in die Büsche verschwinden sehen. Da ich für diesen Ausflug selbstredend auf die Krinoline verzichtet hatte, tat ich es ihnen nach und suchte den schmalen Pfad in das dichtbelaubte Uferdickicht.
    Auf meinem Rückweg stolperte ich über ein rotes Seidenkleid im grünen Laub.

    In dem von weiten Reifen ausgebreiteten Rock kauerte eine Dame, die sich bemühte, ihr Mieder mit den Händen zusammenzuhalten, wobei sie leise, aber unmissverständlich undamenhafte Worte murmelte. Sie blickte auf, als sie mich bemerkte, und ein hoffnungsvoller Blick lag in ihren Augen.
    »Sie haben nicht zufällig eine Sicherheitsnadel dabei, die Sie mir leihen könnten?«
    »Nein, eine Sicherheitsnadel nicht, aber Nadel und Faden sind meine ständigen Begleiter.Wenn Sie mir ein paar Schritte weiter aus diesem – ähm – stillen Örtchen folgen wollten, könnte ich das Problem rasch beheben.«
    Nähzeug hatte ich immer im Retikül, ich kannte ja meine Kinder. Ich reichte der Dame meinen Schal, sodass sie ihr zerrissenes Dekolleté bedecken konnte, und führte sie hinter den nahegelegenen Kuchenstand, wo wir einigermaßen ungestört das Flickwerk vollbringen konnten.
    Das Kleid war nicht von feinster Seide und auch nicht besonders sorgfältig genäht, aber selbst eines von besserer Qualität hätte wohl dem brutalen Angriff nicht standgehalten. Das Mieder war vorne bis zur Taille aufgerissen, und da die Besitzerin über eine nicht unbeträchtliche Oberweite verfügte, würde es schwierig werden, es zu reparieren. Mein gelber Organzaschal, schon reichlich geschlissen, mochte jedoch helfen, wenngleich die Farbkombination zu dem leuchtenden Rot recht grell wirkte. Mit einigen Handgriffen drapierte ich ihn so, dass er den Ausschnitt umgab und das klaffende Mieder verdeckte. Die Stiche,
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