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Goettin in Gummistiefeln

Goettin in Gummistiefeln

Titel: Goettin in Gummistiefeln
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Stunden später sitzen wir noch immer im Konferenzzimmer zusammen.
    Der große Mahagonitisch ähnelt mittlerweile meinem Schreibtisch - Vertragsentwürfe in verschiedensten Stadien, Buchhaltungsunterlagen, vollgekritzelte Notizzettel und Styroportassen mit Kaffeeresten bedecken jede freie Fläche. Auf dem Boden liegen noch die leeren Schachteln vom angelieferten Mittagessen herum. Eine Sekretärin verteilt gerade Kopien der neuesten Version des Vertrags. Zwei Anwälte der Gegenpartei haben sich erhoben und dezent ins Flüsterzimmer zurückgezogen. Jedes Konferenzzimmer verfügt über so einen Raum, auch »Klause« genannt, wo man ein Vier-Augen-Gespräch führen oder auch nur ein bisschen Dampf ablassen kann.
    Die heiße Phase ist vorüber. Es ist wie die Ebbe nach der Flut. Die Gesichter sind noch gerötet, die Gemüter noch erhitzt, doch die Brüllerei hat endlich aufgehört. Die Klienten sind gegangen. Gegen sechzehn Uhr hatten sie sich zusammengerauft und waren, nach einem Händedruck, in ihren Luxuslimousinen abgerauscht.
    Jetzt sind wir, die Anwälte, an der Reihe. Jetzt ist es an uns, das was gesagt wurde und das was tatsächlich gemeint ist (falls Sie glauben, dass das ein und dasselbe ist, können Sie die Juristerei gleich aufgeben), herauszuarbeiten und in einen Vertragsentwurf zu fassen, rechtzeitig zur morgigen Konferenz.
    Wo dann wieder gebrüllt werden darf.
    Ich reibe mein staubtrockenes Gesicht und nippe zerstreut an einem Styroporbecher. Igitt. Das ist der falsche, der mit der kalten, vier Stunden alten Brühe. Bäh. Und ausspucken geht ja wohl schlecht.
    Wohl oder übel schlucke ich das widerliche Gesöff herunter. Das künstliche Licht aus den Leuchtstoffröhren flimmert mir vor den Augen. Ich bin vollkommen ausgelaugt. Meine Aufgabe in diesem Mega-Deal ist die finanzielle Seite - ich war es, die das Darlehen zwischen unserem Klienten und der Bank ausgehandelt hat. Ich war es, die den Karren aus dem Dreck zog, als sich ein plötzliches Schuldenloch in einer der Zweigfirmen auftat. Und ich war es, die geschlagene drei Stunden lang mit den gegnerischen Parteien über einen einzigen blöden Ausdruck in Absatz 29(d) debattieren musste.
    Man konnte sich nicht darüber einigen, ob es »nach bestem Wissen und Gewissen« heißen sollte oder - wie die Gegenpartei gern wollte - »nach Möglichkeit«. Wir haben gewonnen, aber irgendwie verspüre ich nicht das sonst übliche Triumphgefühl. Ich weiß nur, dass es neunzehn Uhr neunzehn ist und ich in elf Minuten am anderen Ende der Stadt sein müsste. Ich bin nämlich zum Abendessen in einem Restaurant mit meiner Mutter und meinem Bruder Daniel verabredet.
    Ich werde wohl absagen müssen. Meine eigene Geburtstagsfeier.
    Beim Gedanken daran höre ich förmlich die entrüstete Stimme meiner ältesten und besten Schulfreundin Freya.
    Die können doch unmöglich von dir verlangen, dass du sogar an deinem Geburtstag Überstunden machst!
    Ich musste auch ihr letzte Woche absagen. Wir wollten eigentlich in einen Comedy Club gehen, aber der Vertrag, an dem wir arbeiteten, stand kurz vor dem Abschluss und ich hatte keine Wahl.
    Was sie einfach nicht kapiert ist, dass die Arbeit vorgeht. Termine gehen vor. Ende der Story. Egal, ob du dir schon was für den Abend vorgenommen hast. Egal, ob du Geburtstag hast. Selbst wenn du in den - wohlverdienten - Urlaub gehen wolltest. Egal. Am Tisch mir gegenüber sitzt Clive Sutherland vom Corporate Department. Seine Frau hat heute Morgen Zwillinge bekommen, und er ist trotzdem zur Lunchzeit wieder im Büro gewesen.
    »Also gut, meine Damen, meine Herren.« Kettermans befehlsgewohnte Stimme sorgt sofort für Ruhe.
    Ketterman ist der Einzige, der kein rotes Gesicht hat, der nicht müde aussieht oder wenigstens gestresst. Er wirkt unberührt, automatenhaft wie immer. Wenn er mal sauer wird, bildet sich bei ihm nicht das kleinste Fältchen. Er verströmt dann lediglich eine stumme, stählerne Wut.
    »Wir müssen vertagen.«
    Was? Mein Kopf zuckt hoch.
    Andere Köpfe ebenfalls. Rund um den Tisch keimt Hoffnung auf. Wir sind wie Schulkinder, die während einer Strafarbeit plötzlich frischen Wind schnuppern. Keiner wagt es, sich zu rühren, aus Angst, noch länger nachsitzen zu müssen.
    »Ohne diese Unterlagen von Fallons können wir nicht weitermachen. Wir sehen uns dann morgen, Punkt neun.« Mit diesen Worten rauscht er davon, und ich atme unwillkürlich auf. Erst jetzt merke ich, dass ich die Luft angehalten hatte.
    Von Clive
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