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Goettin in Gummistiefeln

Goettin in Gummistiefeln

Titel: Goettin in Gummistiefeln
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Laune heraus gegen eine rote eingetauscht. Was mir meine Mutter bis heute nicht verziehen hat.
    Ich mache mein Haar auf, kämme es rasch durch und binde es dann wieder zu einem Knoten hoch. Meine Haare sind nicht gerade mein ganzer Stolz. Sie sind mausbraun, etwa schulterlang, nicht glatt und auch nicht lockig. Jedenfalls war das so, als ich das letzte Mal hingeschaut habe. Die meiste Zeit trage ich sie ohnehin hochgesteckt.
    »Na, was Nettes vor?«, fragt der Taxifahrer mit einem Blick in den Rückspiegel.
    »Ich habe heute Geburtstag!«
    »Ach - da wünsche ich alles Gute!« Er zwinkert mir zu. »Da gibt‘s wohl noch eine Riesenparty. Die ganze Nacht durchfeiern und so.«
    »Äh ... so was Ähnliches.«
    Meine Familie und wilde Parties, das passt nicht so recht zusammen. Trotzdem ist es schön, sich mal wieder zu treffen und Neuigkeiten auszutauschen. Dazu haben wir viel zu selten Gelegenheit.
    Nicht, dass wir uns nie sehen würden. Wir sind nur alle beruflich recht eingespannt. Meine Mutter ist Staatsanwältin und mittlerweile eine kleine Berühmtheit. Letztes Jahr hat sie sogar eine Auszeichnung erhalten - »Frauen in der Justiz« oder so was. Und dann ist da noch mein Bruder Daniel, er ist sechsunddreißig und Chef der Investmentabteilung bei Whittons. Er kam letztes Jahr auf die Liste der einflussreichsten Geschäftsleute Londons.
    Und dann wäre da noch mein anderer Bruder, Peter, doch der hatte, wie gesagt, einen kleinen Nervenzusammenbruch und lebt seitdem in Frankreich, wo er an einer kleinen Dorfschule Englisch unterrichtet. Er hat nicht mal einen Anrufbeantworter. Und mein Dad, natürlich, der in Südafrika lebt, zusammen mit seiner dritten Ehefrau. Ich habe ihn seit meinem dritten Lebensjahr kaum mehr gesehen, aber das ist schon in Ordnung. Meine Mutter hat genug Energie für zwei Elternteile.
    Während wir den Strand entlangfahren, werfe ich einen Bück auf meine Uhr. Neunzehn Uhr zweiundvierzig. Allmählich keimt Vorfreude auf. Wann habe ich Mutter eigentlich zum letzten Mal gesehen? Das muss ... an Weihnachten gewesen sein. Vor sechs Monaten.
    Das Taxi hält vor dem Restaurant, ich bezahle und füge noch ein großzügiges Trinkgeld hinzu.
    »Einen wunderschönen Abend!«, sagt der Fahrer. »Und noch mal alles Gute zum Geburtstag!«
    »Danke!«
    Ich eile ins Restaurant und blicke mich suchend nach Mum oder Daniel um, kann aber keinen von beiden entdecken.
    »Hallo!«, sage ich zu dem Oberkellner. »Ich bin mit Mrs. Tennyson verabredet. Sie hat einen Tisch bestellt.«
    Mrs. Tennyson ist Mutter. Sie hält nichts von Frauen, die den Namen des Ehemannes annehmen. Sie hält auch nichts von Frauen, die daheim bleiben und kochen und Wäsche waschen oder sich zur Tippse ausbilden lassen. Sie findet, dass Frauen grundsätzlich mehr verdienen sollten als ihre Männer, einfach weil sie von Natur aus mehr Grips haben.
    Der Oberkellner führt mich an einen Tisch in einer Ecke, und ich lasse mich auf der ledernen Sitzbank nieder.
    »Hallo!« Ich lächle den Kellner an, der kurz darauf an meinen Tisch tritt. »Ich hätte gerne einen Buck‘s Fizz, einen Gimlet und einen Martini, bitte. Aber erst, wenn die anderen Gäste eintreffen.«
    Mum trinkt immer einen Gimlet. Und was Daniel dieser Tage für Vorlieben hat, weiß ich nicht. Aber zu einem Martini sagt er sicher nicht nein.
    Der Kellner nickt und verschwindet. Ich schüttle meine Serviette aus und blicke mich interessiert um. Maxim‘s ist ziemlich cool - Chrom und Stahl und stimmungsvolle Beleuchtung. Es ist gerade bei Juristen sehr beliebt. Mum geht hier ein und aus. Ich erkenne zwei Anwälte von Linklaters an einem entfernten Tisch, und an der Bar sitzt einer der renommiertesten Anwälte für Verleumdungsklagen. Die Geräuschkulisse, das Klappern von Besteck an überdimensionalen Tellern, das Knallen von Korken, dringt wie Brandungswellen an mein Ohr, akzentuiert durch Gelächtersalven, bei denen sich Köpfe herumdrehen.
    Ich studiere die Speisekarte und merke plötzlich, dass ich einen Riesenhunger habe. Ich hatte, glaube ich, schon seit einer Woche keine anständige Mahlzeit mehr. Beim Anblick dieser Köstlichkeiten läuft mir das Wasser im Mund zusammen: glasierte Gänseleberpastete. Gefülltes Lamm in Kräuterkruste.
    Und auf der Dessertkarte steht unter anderem Minzschokoladensouffle sowie zwei verschiedene Sorten hausgemachter Sorbets. Ich hoffe, Mum kann bis zum Dessert bleiben. Sie hat die Angewohnheit, ganz plötzlich zu verschwinden, meist nach dem
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