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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung
Autoren: Tanja Kinkel
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Familie gemerkt.«
    Neil wollte nach der Familie fragen, unterdrückte das jedoch. Später vielleicht.
    »Wodurch hast du’s entdeckt?«
    »Wenn deine Zunge und deine Backen auf einmal bläuliche Flecken haben, dann geht man besser zum Arzt«, entgegnete Ted trocken. Er sog eine weitere Orangenscheibe in sich hinein und lutschte an ihr, als handle es sich um einen Bonbon. Seine Stimme war kaum verständlich, als er fortfuhr:
    »Mit der Karriere war’s sofort vorbei. Keiner geht mit einem Infizierten in einen Duschraum. Im Spiel wird man nicht mehr aufgestellt.« Mit einem Seitenblick auf Neil fügte er hinzu: »Du hast wohl auch zwei Duschen hier, wie?«
    »Nein, ehrlich gesagt.«
    Das riss Ted aus seiner Lethargie.
    »Hast du keine Angst?«, fragte er verblüfft.
    Neil meinte sich dunkel zu erinnern, dass man sich nicht durch öffentliche Toiletten oder Händeschütteln infizieren konnte, aber Duschen? Unwillkürlich runzelte er die Stirn.
    »Du hast gar nicht über die praktische Seite nachgedacht, stimmt’s?«, fuhr Ted fort, und ein schwaches Lächeln glitt über sein Gesicht. »Mann, du hast dich seit dem College nicht verändert.«
    Es klang nicht anklagend, sondern nostalgisch. »Deswegen nehm ich dir auch ab, dass dich eine Bordsteinschwalbe beklaut hat. Das ist der alte Neil. Erst einem aus der Patsche helfen und dann merken, dass die Hand mit Teer bekleckert ist.«
    Unwillkürlich fiel Neils Blick auf Teds ausgedörrte Finger, die zitterten, als er nach einer weiteren Orangenscheibe griff. Er fragte sich, ob es an der Krankheit oder den Drogen lag. Ted roch nach altem Schweiß, altem Schnaps und jener unnennbaren Ausdünstung, die regelmäßige Medikamenteinnahmen hinterließen und die Neil aus seiner Kindheit nur allzu vertraut war. Wenn er die Augen schloss, konnte er seine Mutter sehen, wie sie sich die Hände wusch, wieder und wieder, als wollte sie die Krankheit mit fortwaschen.
    Seine Cousins, die noch zu klein waren, um zu begreifen, dass Krebs nicht ansteckte, hatten sich geweigert, Süßigkeiten anzunehmen, die seine Mutter ihnen anbot.
    »Das ist die schmeichelhafte Interpretation«, gab Neil so gelassen wie möglich zurück. »Es gibt Leute, die sagen, dass ich ein Idiot bin, der zu gern den Gutmenschen spielt.«
    »Vor allem, wenn du dabei noch einen Promi fertig machen kannst, den du auf dem Kieker hast«, ergänzte Ted. »Klar. Das auch. Aber bei mir gibt’s niemanden fertig zu machen und niemanden zu retten. Neil, du kannst auch schlicht und einfach nett sein, red nicht weiter drum herum.«
    »Wenn wir schon bei Ehrlichkeiten sind - was genau ist passiert, Ted? Nicht die Infektion. Aber warum bist du nicht daheim bei deinen Leuten oder lässt dich anständig in einem Krankenhaus versorgen?«
    An ein heiles Familienleben in allen Krisenfällen glaubte er natürlich nicht. Doch Ted Sandiman, der Familienmensch aus Iowa, als Bettler leuchtete Neil immer weniger ein, je länger er darüber nachdachte.
    »Wie ich schon sagte«, entgegnete Ted nach einem kleinen Schweigen, »die Behandlung ist teuer.«
    »Ted, du warst gut. Wirklich gut. Du musst doch etwas auf die Seite gelegt haben aus deiner Zeit als Profi, und außerdem hätte sich doch jeder Anwalt die Finger danach geleckt, dich zu vertreten, wenn sie dich wirklich wegen AIDS rausgeschmissen haben. Beliebter Sportler herzlos im Stich gelassen und so weiter.«
    Teds Kopf sank zwischen seine Schultern, und irgendwie fühlte sich Neil an seinen Sohn Ben erinnert, Ben, wenn er etwas angestellt hatte. Plötzlich vermisste er seine Kinder und das mit einer Intensität, dass er aufstehen musste, um die Whiskeyflasche aus dem Kühlschrank zu holen. Als er zurückkehrte, in der einen Hand die Flasche, in der anderen zwei Gläser balancierend, murmelte Ted beinah unhörbar:
    »Die haben mich nicht wegen HIV rausgeworfen, sondern wegen der Drogen.«
    Schweigend schenkte Neil ihnen beiden ein und setzte sich wieder zu ihm. Ted griff nach dem Glas, ohne aufzuschauen.
    »Deswegen bin ich auch weggegangen. Ich wollte nicht, dass Miriam den Absturz noch mitmachen muss. Miriam ist meine Frau. Sie hat sich so geschämt wegen der Drogen, und ich hatte ihr geschworen, clean zu werden. War ich auch, mehr als ein Jahr schon, bis dann der Test kam.«
    Er schluckte. »Mann, sie hätte mich schon längst verlassen sollen. Aber sie hat zu mir gestanden. Wir hatten sogar ein Baby bekommen, wollten ganz von vorn anfangen. Das ist der letzte Grund. Ich will nicht,
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