Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)

Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)

Titel: Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
Autoren: Bernd Köstering
Vom Netzwerk:
Beaumarchais
seinen Gegenspieler Clavigo an Maries Sarg.«
     
    Wir verließen das
Nationaltheater gegen 22 Uhr, direkt nach der Generalprobe. Es war kein
angenehmer Tag, eher ein Tag, an dem man zu Hause blieb: feucht und kalt. Wir
überquerten den Theatervorplatz. Hanna schloss den obersten Mantelknopf, ich
schlug den Kragen hoch und legte den Arm um sie. Zum Glück waren es nur wenige
Meter bis zum Theater-Café. Das bekannte Goethe- und Schillerdenkmal würdigten
wir heute keines Blickes. Benno öffnete die Eingangstür, Sophie, Hanna und ich
folgten ihm. Die Theaterleute waren noch nicht da, aber der Kellner erkannte
den ›Herrn Stadtrat‹ sofort, nahm ihm seine Lederjacke ab und fragte, ob er mit
an den Theatertisch wolle. Benno bejahte dies und erklärte mit einer
umfassenden Handbewegung in unsere Richtung, dass wir ebenso dazugehörten.
Hanna lächelte mich an. Es war ein schönes Gefühl, dazuzugehören.
    Nachdem
wir uns gesetzt hatten, brachte der aufmerksame Kellner sofort die Weinkarte.
    »Was
möchtest du trinken, Hanna?«, fragte ich.
    »Wie
immer, einen trockenen Riesling, das weißt du doch …«, antwortete sie und
strich mir liebevoll über den Arm.
    Ich
zwinkerte ihr zu. »Ja, ja, ich weiß, wollte nur mal probieren, ob ich dich
nicht endlich zu einem Rotwein überreden kann.«
    »Keine
Chance!«, sagte sie lachend und strich ihre blonden Haare hinters Ohr. Ich
bestellte einen Nackenheimer Rothenberg und einen Rioja Reserva.
    »Ich
hätte gern ein Pils«, sagte Benno.
    Der
Kellner notierte alles.
    »Benno,
bestellst du mir auch etwas?«, fragte Sophie.
    »Äh,
ja, natürlich … wie immer?«
    »Ja.
Wie immer.«
    »Einen
Prosecco noch, bitte«, rief Benno in Richtung des Kellners. Im selben Moment
näherte sich Generalintendant Hubertus von Wengler mit zwei weiteren Männern.
Benno stand sofort auf. »Guten Abend, Herr von Wengler.«
    »Guten
Abend, Herr Kessler, schön, dass Sie gekommen sind!« Dann begrüßte er Sophie,
Hanna und mich. Er stellte uns die beiden anderen Herren vor.
    »Das
ist unser Clavigo-Regisseur Martin Feinert …«, Händeschütteln, »und hier darf
ich Ihnen den bekannten Kritiker Harry Hartung vorstellen, er hat bereits
mehrere Theaterführer geschrieben.«
    Hubertus
von Wengler bestellte einen Bordeaux, Martin Feinert Kamillentee und Harry
Hartung einen Cognac.
    »Wir
erwarten noch den Herrn Oberbürgermeister«, sagte der Generalintendant, »er
kommt etwas später, ein wichtiges Telefonat, sowie Franziska Appelmann von der
›Thüringer Zeitung‹ und eine unserer Schauspielerinnen.«
    Ich sah
ihn neugierig an.
    »Frau
Pajak kommt.«
    »Oh,
Frau Pajak!« Ich war begeistert. Jolanta Pajak war sicher die profilierteste
Schauspielerin bei dieser Aufführung.
    Hubertus
von Wengler lächelte. »Erfreulicherweise hat sie sich bereit erklärt, Ihnen
heute Abend Rede und Antwort zu stehen. Sie ist zwar nur als Gastschauspielerin
bei uns, arbeitet sonst hauptsächlich in Berlin, aber ich denke, sie fühlt sich
recht wohl hier in Weimar und sucht den Kontakt zur Bevölkerung.« Seine
Waigel’schen Augenbrauen wippten auf und nieder.
    »Und
heute hat sie eine beeindruckende Leistung geboten«, sagte ich.
    »Das
stimmt!«
    »Absolut!«
    »Ja,
starke Leistung …«
    »Fast
schon zu gut für eine Generalprobe«, meinte Sophie, »hoffentlich kann sie das
am Samstag auf der Premiere wiederholen.«
    Alle
stimmten dieser Einschätzung zu, sogar Harry Hartung, der Theaterkritiker, der
inzwischen seinen zweiten Cognac vor sich stehen hatte. Dies war allerdings
auch der einzige gemeinsame Nenner, den wir an diesem Abend mit ihm fanden.
    »Hier
muss ich gleich einschreiten«, sagte Hartung, »grundsätzlich bin ich ein
Vertreter des konservativen Theaters, was nicht heißt, dass ich alle modernen
Aufführungen ablehne, aber diese hier ist doch sehr aus dem Ruder gelaufen. Sie
haben Goethes Stück von Spanien nach Deutschland verlegt, vom Umfeld des
Madrider Hofs ins Frankfurter Bankenviertel, Clavigo ist kein Schriftsteller
mehr, sondern ein karrieregeiler Banker, wie man heute sagt, zwei
männliche Figuren haben Sie gleich ganz aus dem Stück gestrichen, was bleibt
denn da noch von Goethe übrig?«
    Alle
blickten gespannt auf Hubertus von Wengler und seinen Kamillentee trinkenden
Regisseur. Der Intendant wiegte bedächtig seinen grauhaarigen Kopf hin und her.
»Wissen Sie, Herr Hartung, Sie haben nicht ganz unrecht, es ist schwer für den
klassisch geprägten Theaterzuschauer, sich mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher