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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh
Autoren: Bernd Koestering
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seltsamen Verse …«
    Ich wurde sofort hellhörig: »Was für Verse?«
    »Tja, Hendrik«, antwortete Benno, »das ist etwas ganz Spezielles. Jeweils einen Tag, nach dem ein Exponat gestohlen wurde, bekam ich eine E-Mail mit merkwürdigen Texten beziehungsweise … Versen oder was auch immer.«
    »Wie bitte?«
    »Ja, so ist es«, bestätigte Hauptkommissar Dorst, »wir wissen nicht, was die Verse bedeuten. Einer sei von Goethe, sagt Herr Wenzel, er hat aber keine Zeit, sich näher damit zu befassen. Benno …, also Herr Kessler sagt, Sie seien Spezialist für Literaturgeschichte und ein profunder Goethe-Kenner, somit der ideale Mann für uns. Wir brauchen Interpretationen und Zusammenhänge, die uns zum Täter führen. Würden Sie die Texte für uns analysieren?«
    Erwartungsvolle Blicke waren auf mich gerichtet.
    »Bitte!«, fügte Benno auffordernd, aber höflich hinzu.
    Ich dachte einen Moment nach, obwohl mein Entschluss eigentlich schon feststand. »Für mich hört sich das eher so an, als bräuchten Sie ein Täterprofil«, warf ich ein. »Ist das nicht Aufgabe eines Psychologen?«
    »Wir brauchen Sie hauptsächlich für die Auswertung der Texte, das Täterprofil erstellt natürlich unser Polizeipsychologe.« Der Hauptkommissar schien bereits alles durchdacht zu haben.
    Ich sah die drei Männer der Reihe nach an. »Gut, ich werde Ihnen helfen«, sagte ich mit fester Stimme, »für Weimar und für Herrn Kessler.«
    Benno lächelte.
    Dorst war sichtlich erleichtert. »Danke, Herr Wilmut.«
    Ich setzte mich und Martin Wenzel reichte mir ein handbeschriebenes Blatt.
    »Hier finden Sie die Auflistung der drei verschwundenen Exponate mit dem Raum, aus dem sie gestohlen wurden und den E-Mail-Kommentar des Täters. Ich kann Ihnen gerne noch ein paar Details geben.«
    »Ja bitte, ich brauche vor allem Informationen über die Zeit, aus der die Stücke stammen und deren Beziehung zu Goethe.«
    Die Sekretärin brachte Kaffee und ein paar Kuchenstücke – in Thüringen geht nichts ohne Kuchen. Ich ging aufmerksam die Liste durch.

     
    1.      
    Bucht von Palermo und Monte Pellegrino
    Kleines Esszimmer
    ›Wie ich hereingekommen, ich kann’s nicht sagen‹

     
    »Das Erste ist eine Zeichnung von Christoph Heinrich Kniep«, erklärte Wenzel, als diktiere er einem imaginären Schreiber, »er begleitete Goethe teilweise auf seiner ersten Italienreise und erhielt von ihm den Auftrag, seine Sizilien-Eindrücke in Bildern festzuhalten. Dargestellt wird die Bucht von Palermo und der Monte Pellegrino, Entstehungsdatum 1788.«

     
    2.       
    Goethes Gartenhaus von der Rückseite
    Christianes Wohnzimmer
    ›Sag ich’s euch, geliebte Bäume‹

     
    »Das Zweite ist eine Tuschezeichnung von Goethe selbst, die sein Gartenhaus von der Rückseite darstellt. Er verwendete hier zur Kolorierung zusätzlich blaue Wasserfarbe. Die Zeichnung entstand 1779/80. Das Dritte …«, Wenzel hustete nervös, »das Dritte ist ein besonders bekanntes Exponat – der Fußschemel aus Goethes Sterbezimmer.«
    Ungläubig sah ich ihn an und schüttelte den Kopf.

     
    3.       
    Fußschemel vor Sterbestuhl
    Goethes Schlafzimmer
    ›Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis;
    Das Unzulängliche hier wird’s Ereignis;
    Das Unbeschreibliche hier ist’s getan.‹
    »Alles ist gesichert«, beteuerte Martin Wenzel und hob entschuldigend die Arme, »in Goethes Arbeits- und Sterbezimmer sogar mit Lichtschranken.«
    Ich las nochmals aufmerksam die Tabelle und ließ meine Gedanken durch das Goethehaus schweifen. Wie konnte es nur möglich sein, einen Fußschemel dort hinauszuschmuggeln?
    »Sagen dir die Verse etwas?«, fragte Benno ungeduldig.
    »Der erste Text im Moment noch nicht«, erklärte ich, »da muss ich erst nachschlagen. Da die beiden anderen von Goethe stammen, gehe ich allerdings davon aus, dass auch dieser von ihm geschrieben wurde. Das Gedicht ›Sag ich’s euch, geliebte Bäume‹ stammt ungefähr aus der Zeit, aus der auch die Zeichnung von Goethe stammt, ich prüfe das später genau. Zu dieser Zeit lebte er im Gartenhaus im Ilmpark, noch nicht am Frauenplan. Der dritte Text stammt aus ›Faust II‹ und passt insofern gut zu dem verschwundenen Fußschemel.«
    »Wie meinen Sie das?«, wollte Dorst wissen.
    »Nun, der Fußschemel ist ein Relikt, das in engem Zusammenhang mit Goethes Tod steht. Seine Füße lagen darauf, als er starb. Eines der zentralen Themen von ›Faust II‹ ist das Sterben, außerdem hat Goethe bis kurz
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