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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh
Autoren: Bernd Koestering
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absoluter Favorit, sein Stern am Himmel der Vergangenheit.
    Er hatte alle seine Werke gelesen. Goethe konnte mit seinen Worten bewegen, ja sogar mit seinen Worten liebkosen. Doch er konnte auch mit Worten Menschen zum Äußersten treiben.

     
    *

     
    Ich musste wie immer weit entfernt von meiner Wohnung parken. Ein Wunder, dass die Rollen meines Koffers die zehnminütige Tortur über das holprige Pflaster bis zum südlichen Ende der Hegelstraße überstanden. Meine gemütliche Dachwohnung hatte alles, was ein eingefleischter Junggeselle und ein schreibender Mensch braucht. Das große Arbeitszimmer war mein ganzer Stolz. Besonders das riesige Dachfenster mit dem wunderbaren Blick ins Grüne. Ich hätte zwar lieber in der Humboldtstraße gewohnt oder im Silberblick, direkt neben dem ehemaligen Haus meiner Großeltern, doch so war es auch gut, fast wie zu Hause. Und in Hannas Nähe.
    Ich packte meinen Koffer aus und schaltete den Laptop ein, um meine E-Mails abzurufen. Während der Aktualisierung nahm ich eine kurze Dusche. Ich entschied mich für ein kurzärmliges hellblaues Hemd mit dezentem Muster, eine schwarze Jeans und helle Sommerschuhe. Für den Fall, dass wir später noch draußen auf dem Rollplatz saßen, musste ein dünner Pullover herhalten.
    Dann prüfte ich meinen Posteingang. Eine Mitteilung vom Feuilleton-Redakteur der ›Frankfurter Presse‹, mit der Bitte, die Buchrezension in zwei Wochen vorzulegen. Daran hatte ich bei der Vereinbarung des morgigen Ortstermins im Goethehaus gar nicht mehr gedacht. Doch bevor ich mir dazu weitere Gedanken machen konnte, fiel mein Blick auf eine andere E-Mail: Nachricht von Hanna.
    ›Lieber Hendrik, bin heute noch in Eisenach unterwegs, wie wäre es morgen Abend mit einer Pizza bei Pepe? Deine Hanna.‹
    Ich hatte schon seit einiger Zeit versucht, wieder mit ihr Kontakt aufzunehmen, doch Hanna war sehr zurückhaltend. Vorgestern hatte ich ihr eine Mail geschickt, lediglich mit der Information, dass ich ab heute in Weimar sei. Ohne Fragen. Ohne Druck. Deine . Dieses Wort war etwas besonderes, das wusste ich.
    Der Rest war unwichtig. Auf dem Anrufbeantworter war ein kurzer Gruß meiner Mutter, sie wünschte mir eine schöne Zeit in Weimar. Wie Mütter so sind. Vor ein paar Jahren hätte ich das missbilligt und als Einmischung betrachtet, inzwischen freute ich mich darüber. Weimar lag auch ihr sehr am Herzen, sie war hier aufgewachsen. Ich antwortete nicht, das war nicht nötig – wir wussten inzwischen miteinander umzugehen. Nachdem der Rechner heruntergefahren war, verließ ich die Wohnung.
    Als ich unten auf die Hegelstraße trat, war es nach wie vor heiß, keine Spur von Abkühlung. Der Literaturkreis traf sich um 20 Uhr in der ›Brasserie Central‹ und ich wollte zuvor noch Benno und Sophie besuchen. Ohne Hast schlenderte ich durch das Viertel. Nach zehn Minuten hatte ich die Lisztstraße erreicht.
    Bennos Haus war eines dieser alten Mietshäuser aus der Zeit der Jahrhundertwende: drei bis vier Stockwerke, hohe Räume, Versuche eines aristokratischen Äußeren. Zu Zeiten des real existierenden Sozialismus waren diese Häuser schwer zu halten gewesen, niedrige Mieten und hohe Reparaturkosten prägten den Alltag. Inzwischen erstrahlten viele wieder in bescheidenem Glanz, so auch Bennos Haus. Nach der Wende war es an die Familie Kessler zurückgegeben worden, ohne Proteste – keiner wollte den alten Kasten haben. Cousin Benno hatte es von Onkel Leo und Tante Gesa übereignet bekommen, mit allen Vor- und Nachteilen. Er hatte bereits viel Geld, Zeit und Arbeit investiert. So etwas lag ihm: Projekte mit hohen Anforderungen, Aktivität, Handwerksarbeit, ein hoher Lebenstonus. Dafür sah das Haus jetzt fast wieder aus wie vor dem Zweiten Weltkrieg – meinte jedenfalls Onkel Leo.
    Benno und Sophie saßen gerade beim Abendbrot.
    »Hallo, Hendrik«, rief Sophie sogleich, »willst du mit uns essen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, lief sie in die Küche.
    »Ich dachte, wir essen im Café bei Thomas!«, wunderte ich mich.
    »Nein«, brummte Benno, »während des Literaturtreffens wird nicht gegessen, das lenkt nur ab. Die körperlichen müssen hinter den geistigen Freuden zurückstehen. Trinken ist allerdings erlaubt.« Er grinste mir zu.
    Nach drei Leberwurstbroten mit Senf und Gurke fühlte ich mich besser.
    »Hast du dir ein Diskussionsthema für heute Abend überlegt?«, fragte Benno neugierig.
    »Ja, natürlich!«, antwortete ich.
    »Und?«
    »Erfährst du
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