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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh
Autoren: Bernd Koestering
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war verwirrt.
    Der Referent ergriff sofort das Wort: »Herr Wilmut, wir haben Sie auf Wunsch von Herrn Stadtrat Kessler zu dieser Besprechung eingeladen. Ich kann nicht verhehlen, dass ich dagegen war, einen Amateur hinzuzuziehen, aber ich wurde sozusagen … überstimmt.«
    Für den Moment war ich sprachlos. Benno wollte noch etwas einwenden, doch Blume überging es einfach.
    »Da der Hauptkommissar mit anwesend ist, können Sie sich wahrscheinlich denken, dass es sich um eine Straftat handelt. Wir brauchen äh … bitten Sie um Ihre Hilfe. Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass dies ein ehrenamtlicher Job ist, Sie können sich keine goldene Nase damit verdienen, maximal eine Erwähnung im Stadtarchiv.«
    Benno verdrehte die Augen.
    Ich sagte nichts.
    »Sind Sie dabei?«, fragte Blume.
    »Herr Blume …«
    »Herr Referent reicht!«
    Toller Typ.
    »Also, Herr Referent, bevor ich zusage, möchte ich doch gern wissen, unter welcher Rubrik ich ins Stadtarchiv komme, unter Beleidigungen, Mordfälle oder Parteispendenaffären?«
    Blume sah Hauptkommissar Dorst auffordernd an.
    »Gut, Herr Wilmut, ich gebe Ihnen einen kurzen Abriss der Situation.«
    Bevor Dorst weiterreden konnte, stand Blume unvermittelt auf und sagte im Hinausgehen: »Kommen Sie später in mein Büro, Wilmut, und geben Sie mir Bescheid!«
    Als er draußen war, sahen sich die vier Männer ungläubig an. Wenzel öffnete das Fenster, Dorst schüttelte den Kopf.
    »Entschuldige, Hendrik«, sagte Benno langsam und strich sich durch seinen Bart, »sein Weltbild ist so wie seine Krawatte: schwarz mit einigen weißen Punkten.«
    Ich nickte.
    »Es geht um das Goethehaus«, begann Hauptkommissar Dorst, »dort werden seit einiger Zeit Ausstellungsstücke gestohlen.«
    »Oh nein!«, entfuhr es mir.
    »Leider ist es so. Den ersten Diebstahl bemerkte Herr Wenzel im Mai dieses Jahres, den zweiten vor vier Wochen, den dritten gestern. Die Stücke haben keinen hohen Materialwert, für das Goethemuseum sind sie allerdings von großer historischer Bedeutung.« Er ließ das Gesagte einen Moment wirken. »Das Goethehaus ist nur während der Öffnungszeiten zugänglich, sonst ist es durch eine Alarmanlage gesichert. Bisher ist völlig unklar, wie die Stücke nach draußen geschmuggelt werden konnten. Um es offen zu sagen, wir sind ratlos.«
    Martin Wenzel ergriff das Wort: »Wir haben statt der verschwundenen Exponate Schilder aufgestellt, mit dem Hinweis, dass diese restauriert werden. Aber so langsam befürchte ich, dass uns das niemand mehr glaubt. Ich musste schon die Presse abwimmeln.«
    »Und nun«, schaltete sich auch Benno ein, »drängt die Zeit, weil wir auf das Europäische Kulturjahr zusteuern, und bis dahin alle Exponate wieder im Museum sein müssen. Außerdem kommt im September eine UNESCO-Kommission, die besonders das Goethemuseum und Goethes Wohnhaus unter die Lupe nehmen will.«
    »UNESCO-Kommission …?«
    »Ja, in ein paar Monaten, am 2. Dezember, findet in Japan eine Sitzung des Welterbekomitees statt, auf der entschieden werden soll, ob das sogenannte Ensemble ›Klassisches Weimar‹ ab Januar 1999 in die Liste des Welterbes aufgenommen werden soll. Zusätzlich zum Domizil des Bauhauses, das bereits vor zwei Jahren anerkannt wurde.«
    »Im Übrigen befürchten wir, dass weitere Stücke gestohlen werden könnten«, ergänzte Dorst.
    Ich ging zum offenen Fenster, um Luft zu holen. Das Goethehaus hatte für mein kulturelles Bewusstsein einen sehr hohen Stellenwert. Ich hatte viel Zeit dort verbracht, mit Studien und Forschungsarbeiten, aber auch mit Träumen und Nachdenken über die Person Goethes und seine Zeit.
    In meinem Kopf drehte sich alles. Nur langsam wurde mir die Tragweite der Angelegenheit bewusst. Ich sah in Gedanken schon ein leeres Goethehaus vor mir und empörte Touristen, die uns vorwarfen, die deutsche Klassik nicht geschützt zu haben.
    Meine Zunge klebte am Gaumen. Ich sah mich nach etwas Trinkbarem um. »Was, äh … was soll ich denn tun?«, fragte ich umständlich.
    »Wir haben eine Sonderkommission eingesetzt«, antwortete der Hauptkommissar, »die Kommission ›JWG‹. Wir brauchen Sie als Berater. Wir … naja, wir können uns nicht so richtig in den Täter hineinversetzen, wissen nichts von seinen Beweggründen, seinen Motiven. Er hat bisher weder eine Lösegeldforderung gestellt noch sonstige Bedingungen genannt, unter denen er bereit wäre, das Diebesgut wieder zurückzugeben. Das Einzige, was wir von ihm haben, sind diese
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