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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh
Autoren: Bernd Koestering
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vor seinem Tod daran gearbeitet, und veröffentlicht wurde das Drama erst posthum.«
    Benno machte eine nachdenkliche Miene. »Hast du irgendeine Idee, was der Täter uns damit sagen will?«
    »Spontan nicht, aber ich werde mich heute Abend in Ruhe damit beschäftigen, morgen wissen wir hoffentlich mehr.«
    »Sehr gut!«
    »Übrigens, woher kamen denn diese E-Mails?«, erkundigte ich mich.
    »Gute Frage«, meinte Dorst, »die Kripo ist leider erst nach dem dritten Diebstahl, also gestern, informiert worden …«, kurzer, strafender Blick zu Wenzel, »… während dieser Zeit haben wir festgestellt, dass die Mails aus einem Internetcafé in der Steubenstraße gesendet wurden. Wir konnten feststellen, von welchem Rechner die jeweilige Nachricht abgeschickt wurde, aber natürlich kann sich keiner mehr daran erinnern, wer zur fraglichen Zeit an diesem Rechner gesessen hat. Der Täter schreibt immer abends zwischen 19 und 21 Uhr, wenn es dort nur so vor jungen Leuten wimmelt.«
    Ich machte mir einige Notizen. »Hm, also keine Chance, über diesen Weg etwas herauszufinden?«
    »Nein, nichts zu machen«, antwortete Siegfried Dorst. »Gesendet wurden die E-Mails übrigens alle von … Moment bitte«, er blätterte in seinen Papieren, »ja hier, von ›[email protected]‹. Das Kürzel jwg soll wahrscheinlich für Johann Wolfgang Goethe stehen, die Zahl Zwei in diesem Zusammenhang ist unklar. Den Absendernamen kann man sich selbst aussuchen, viele von den dort verkehrenden Jugendlichen haben eine feste E-Mail-Adresse, so auch der Täter. Es muss allerdings keine Personenidentifikation hinterlegt werden. Man kann sich grundsätzlich auch nur über den Provider ›fun.de‹ einloggen, diesbezüglich besteht ein Vertrag mit dem Internetcafé, damit kommen wir also nicht weiter.«
    »Benno, woher hatte der wohl deine E-Mail-Adresse?«, fragte ich. Benno lächelte. Ich konnte seine Gedanken fast lesen. Und er hatte recht: Das Jagdfieber hatte mich bereits gepackt.
    »Er schickt die Mails auf meine dienstliche Adresse hier im Amt«, antwortete er, »die steht auf unserer Website.«
    »Oh, sehr bürgerfreundlich!«
    »Ja, ja …«
    »Immerhin ist es der einzige Kommunikationsweg mit dem Täter, den wir derzeit haben«, bemerkte der Hauptkommissar, »leider nur in eine Richtung.«
    Martin Wenzel meldete sich: »Herr Stadtrat, wir müssen unbedingt etwas tun, damit nicht wieder etwas gestohlen wird!«
    »Das stimmt«, pflichtete Benno ihm bei, »wir müssen etwas tun. Dazu ist allerdings ein Ortstermin notwendig. Wir sehen uns das Goethemuseum an, besonders die Räume, aus denen etwas entwendet wurde, und entscheiden dann vor Ort zusammen, was zu tun ist, einverstanden?«
    Alle stimmten zu.
    »Gut«, sagte Benno, stand auf und sah mich an. »Hast du morgen Vormittag Zeit?«
    »Klar«, erwiderte ich, ohne zu zögern.
    »Dann treffen wir uns um 10 Uhr am Frauenplan. Und bitte keinerlei Informationen an die Öffentlichkeit!«
    Ich atmete tief durch und versuchte mir vorzustellen, was in den nächsten Tagen auf mich zukommen würde. Aber es gelang mir nicht.
    Vom Auto aus rief ich Blume an.
    Nach dem dritten Klingeln hob er ab: »Referent Hans Blume!«
    »Hallo, Blume, hier Wilmut, ich bin dabei!« Dann legte ich wieder auf. Benno hätte mich jetzt bestimmt strafend angesehen und seinen bärtigen Kopf missbilligend geschüttelt. Ich stehe doch nicht auf seiner Gehaltsliste, hätte ich ihm entgegnet. Ich konnte mir Bennos breites Grinsen lebhaft vorstellen.

     
    *

     
    Die Gegenwart war ihm zuwider. Er liebte die Vergangenheit. Und er liebte seine Stadt. Die Vergangenheit war hier allgegenwärtig mit all den berühmten Literaten, Musikern und Philosophen. In Gedanken wiederholte er manchmal die Inschrift der kleinen Anzeigetafeln unter den Straßenschildern, zum Beispiel: ›Franz Liszt, Komponist, 1811–1886‹. Er prahlte gern vor sich selbst mit seinem Wissen. Das gab ihm Sicherheit. Die anderen konnten das nicht verstehen. So behielt er sein Wissen für sich, nur der Großvater, der hatte ihn verstanden, und sogar mehr als das: Er hatte ihn respektiert.
    Die großen Söhne seiner Stadt bewegten ihn, die Berühmten, die Geistreichen. Am liebsten hätte er sich selbst in diese sagenumwobene Kette von kunstdurchtränkten Männern eingereiht. Sein eigener Name auf einem Straßenschild, dieser Gedanke sorgte für eine Gänsehaut auf seinen dünnen Unterarmen. Er bewunderte vor allem die Wortgewandten, die Schriftgewaltigen. Goethe war sein
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