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Goethe

Goethe

Titel: Goethe
Autoren: Albert von Trentini
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aber nickte nicht einmal mehr. Löste sie wortlos von sich und ging. Dreimal, weil ihm das Blut wie ein Hammer die Schläfen schlug, umkreiste er das Haus an der Ackerwand. »Nein!« stampfte er in der Wiese, abseits vom Hause, in den Boden. »Nein, ich tue es nicht!« Ein Stückchen Blauhimmel sah er im Osten. Die Sonne traf einen Heuwiesenabhang, daß er hell zwischen Obstbäumen glänzte. Der Duft streichelte ihn. Der Glanz tröstete ihn: es muß, wird auch allein gehen! Aber der Schritt seiner Füße gehorchte ihm nicht mehr. Er ging nicht dem lockenden Hang, ging in Windungen, in Abwegen, dennoch in stetem Näherhinzielen dem Hause zu. Auf der Schwelle noch schien er zu überlegen. Das rechte Bein stand im Stufenstein, das linke im Erdboden. Aber als er von der Stufe wahrhaftig zurücktreten wollte, – »und wenn sie mich auch gesehen haben sollte!« – erscholl ein Jauchzen, zwei stürmische Arme fühlte er um seinen Hals, Kuß auf Kuß auf den Lippen. »Endlich!« jauchzte trunken der Knabe. Trunken, in seligem Zögern, lauschte Goethe. Erlösung brach die Starre der Glieder, in süßer Ermattung verebbte der Herzschlag. Also war es doch das Richtige gewesen! »Komm, mein Kind!« schluchzte er, ohne Scham liefen ihm die Tränen über die Wangen herab. »Mein gutes, liebes Kind, komm!«
    »Nein!« machte er sich zärtlich los, als der Knabe ungeduldig die Klinke in die Hand nahm und ihn ins Zimmer hineinschieben wollte. »Rufe die Mama! Ich habe mit ihr zu sprechen. Du kommst um sechs ins Gartenhaus hinaus. Dort reden wir zwei miteinander!«
    »Mama!« jubelte der Bub ins Stockwerk hinauf.
    Sie vernahm es sogleich! Mordlustig war ihr Herz von ihren eigenen Händen zerfetzt worden. Wie eine Leiche kalt und starr war sie schon gewesen. Aber selbst diese Leiche noch hatte sie zerfetzt. Nichts mußte zuletzt sein! Nicht jenes Nichts, das sie nach der Verjagung des Geliebten in aller Welt und in ihr selber gesehen hatte! Dieses hatte sein Gesicht nicht behalten. Nein! Ein Gorgohaupt trug jetzt die Welt! Und wo sie diese Miene noch nicht trug, gor die wahnsinnige Gier, zu schänden, was noch nicht geschändet war, den Geifer des zertretenen Gemüts in jeden letzten Winkel hinein zu spritzen und für ewig und immer zu schaffen: das endgültige Nichts!
    Jetzt aber, als der Knabe sagte: »Mama, er ist unten!« – ah!
    Also war das Herz doch noch nicht Nichts? Mit dem Schlag eines Blitzes in die chaotische Vielheit der Möglichkeiten gerissen, die nun, zauberhaft, sich dem ermordeten Sinn wieder auftaten, kniete sie zu Füßen ihres Bettes nieder. »Laß mich,« rang die blutbesprengte Seele nach oben in bebender Bitte, »laß mich nur jetzt nicht allein! Es geht diesmal auf Leben und Sterben!«
    Während er unten wartete. Ohne Angst wartete. Das Mumienhafte, die Drohung der Mauern und Wälle war von ihm plötzlich geschwunden. Wie den sicheren Morgenstrahl des Erwecktseins trug er den jauchzenden Kuß des Knaben in der Brust. So war es also doch das Richtige gewesen! Leicht atmete er auf. Die Sonne kam. Ein heiteres Windchen fächelte draußen. Das Grün entbreitete sich. Die Dinge, jedes Aug und Seele altvertraut, stiegen heimlich von den Wänden fort und lächelten in freundlichem Reigen ihm zu. »Nicht wahr,« klang es von überallher auf ihn ein, »hier ist doch deine Heimat?« – »Ja!« Gerne ließ er sich nieder. »Ja!« wiederholte er fest. »Und nun wird alles werden!« Wie man nur hatte fürchten können, daß es nicht werden würde! Man muß opfern! Sich hinzugeben wissen! Hatte er in Italien jemals anderes bezielt, als sich über das Schicksal, das ihm und Lotte nun einmal zugeteilt war, siegreich zu erheben? Sein Leben und sein Werk nicht mehr stören zu lassen von der Tyrannei einer Leidenschaft, die nur durch Geist zu bändigen war? »Nichts anderes! Herr über das sein, was trennt!« Und nun? Herrschaft in Blut und in Seele! Ist das nun die Heimkehr? Wirkt jetzt erst die zweite Geburt?
    »Lotte!«
    Wie ein Kind lief er ihr entgegen. Riß die Hände an die Lippen. »Ich hielt es nicht mehr aus, Lotte! Vergib und vergiß! Wir zwei können doch so nicht auseinandergehen! Lotte!«
    Also stand es fest: er liebt mich noch! Man mochte es lesen, wie immer man wollte, es stand untrüglich da in seinen Augen! Er liebt mich! Sie lächelte. Himmlisch sanft, so, wie einst. Er liebt mich! Das Nichts zerrann! Das Gorgohaupt schwand aus der Welt! Tief, tief jetzt Atem ziehen! Fest steht es: er liebt mich! »Es ist
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