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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Autoren: Rüdiger Safranski
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Wolfgang und Cornelia altersmäßig näher als ihrem Ehemann. Beim häuslichen Unterricht saß sie mit in der Kinderecke. Sie hatte selbst noch viel zu lernen. Eine korrekte Rechtschreibung lernte sie nie. Später hat sie damit sogar kokettiert und ermahnte ihren Sohn, den eigenen Sohn nur nicht zu quälen: »plage den jungen nicht mitschreiben – Er hat villeicht eine Ader von der Großmutter Schreiben –«. Sie schrieb konsequent so wie sie redete und wie sie es hörte, »wir sind selbst vom Napoleon vor Neuterahl erklährt«, heißt es in einem Brief vom Februar 1806. Sie weiß aber auch, daß sie den richtigen Ton trifft und das Talent der Anschaulichkeit besitzt: »Meine Gabe die mir Gott gegeben hat ist eine lebendige Darstellung aller Dinge die in mein Wißen einschlagen, großes und kleines, Wahrheit und Mährgen u.s.w. so wie ich in einen Circul komme wird alles heiter und froh weil ich erzähle.«
    So war es. Den Kindern erzählte sie Märchen. An einem schönen Sommertag trug Wolfgang ihren Sessel, den Märchenstuhl, in den Hof und umkränzte ihn. Die Mutter genoß es, sich in die Welt der Kinder hineinzudenken, weil sie sich selbst noch einen Rest Kindlichkeit bewahrt hatte. Daher ihr Erzähltalent, ihre Lust am
Fabulieren
. Sie war selbst im »höchsten Grad begierig«, möglichst jeden Abend die Erzählung fortzuspinnen, während ihr Wolfgang zu Füßen saß und sie mit seinen »großen schwarzen Augen« verschlang, mit Zornadern an der Stirn, wenn etwas nicht nach seinem Sinn geschah. Der Großmutter erzählte er anderntags, wie die Geschichte eigentlich weitergehen müßte, und die trug es der Mutter zu, die am selben Abend die Geschichte nach dem Wunsche des Kleinen weitererzählte. Der war glücklich und »sah mit glühenden Augen der Erfüllung seiner kühn angelegten Pläne entgegen«.
    Die Mutter brachte Märchenzauber ins Haus, und sie stiftete auch Frieden, wenn es nötig war. Als die Thoranc-Affäre im Hause zu ernsten Spannungen führte, glättete sie die Wogen. Bei Konflikten des Sohnes mit dem Vater versuchte sie zu vermitteln. Sie schätzte fröhliche Geselligkeit, und als in der Zeit des ›Sturm und Drang‹ der frische Ruhm des Sohnes viele Freunde ins Haus zog – Klinger, Lenz, Wagner – nannte sie diese ihre ›Söhne‹ und ließ sich nach der Mutter aus dem Volksbuch »Die Haimonskinder« gerne ›Mutter Aja‹ nennen. Sie gab lebenskluge Ratschläge. Als Klinger zum Beispiel über das langweilige Gießen klagt, wo er studiert, schreibt sie ihm: »Ich meine immer das wäre vor Euch Dichter eine Kleinigkeit alle, auch die schlechten Orte zu Idealisiren, könnt ihr aus nichts etwas machen, so müßt es doch mit dem sey bey uns zugehn, wenn aus Gießen nicht eine Feen Stadt zu machen wäre. Darinen habe ich zum wenigsten eine große Stärke«. Diese Stärke der Mutter, das Wirkliche zu poetisieren, wußte Goethe zu schätzen. Ihre Art hat ihn vor der Versuchung bewahrt, die Poesie mit falschem Ernst verwirklichen zu wollen. In »Dichtung und Wahrheit« schreibt er:
Wie ich mich nun aber dadurch erleichtert und aufgeklärt fühlte, die Wirklichkeit in Poesie verwandelt zu haben, so verwirrten sich meine Freunde daran, indem sie glaubten, man müsse die Poesie in Wirklichkeit verwandeln
.
    Der realistische Sinn der Mutter war poetisch aufgelockert und deshalb nicht einengend. Sie ließ sich gerne überraschen und ergriff jede Gelegenheit zum Frohsinn. Sie konnte sich dem Gegenwärtigen öffnen und ließ sich das Leben nicht von Sorgen vergällen. Sie habe sich »heilig geschworren«, schreibt sie einmal an die Herzoginmutter Amalia, »es immer einen Tag, dem andern sagen laßen, alle kleinen Freuden aufzuhaschen, aber sie ja nicht zu anatomiren – Mit einem Wort – täglich mehr in den Kindersinn hineingehn«. Sie verschmäht nicht die Hilfsmittel, welche die Stimmung heben. Zwar sendet sie dem Sohn später die besten Flaschen aus ihrem Weinkeller nach Weimar, aber sie wird die »minder guten Weine 〈...〉, zur ersparung des Transports biß auf den letzten tropfen austrincken.« Auch vom Schnupftabak, wovon man ihr abgeraten hatte, mag sie bis ins hohe Alter nicht lassen, und sie rechtfertigt sich vor der Schwiegertochter: »ohne ein prißgen Taback waren meine Briefe wie Stroh – wie Frachtbriefe – aber Jetz! das geht wie geschmirt«.
    Sie gönnte auch den anderen etwas. Christiane Vulpius nannte sie in den Briefen an den Sohn den »Bettschatz«, und ihr selbst schrieb sie
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