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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Autoren: Rüdiger Safranski
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bildenden Künste und beschäftigte die ortsansässigen Maler, die nun im Haus am Hirschgraben ein und aus gingen, denen der Knabe bei der Arbeit zusehen durfte und denen er bald auch unerbetene Ratschläge gab. Thoranc mochte diesen vorwitzigen und altklugen Knaben ganz gut leiden. Der Vater aber, dessen Autorität im Hause durch die Einquartierung sowieso beeinträchtigt war, sah es nicht gerne, wenn der Sohn sich zu Thoranc hielt.
    Im Verhältnis zum Vater gab es also Spannungen. Und doch sparte der Vater nicht an Geld und Aufmerksamkeit, um das begabte Kind zu fördern. Er engagierte Hauslehrer, die dem Sohn nicht nur das konventionelle Pensum – Latein, Bibelkunde etc. – abverlangten, sondern ihn auch in den musischen Disziplinen fördern sollten, Zeichnen, Verseschmieden, Musizieren. Er unterrichtete auch selbst, vor allem die Geschichte der Stadt, Rechtslehre und Erdkunde.
Mein Vater
, schreibt Goethe,
war überhaupt lehrhafter Natur, und bei seiner Entfernung von Geschäften wollte er gern dasjenige was er wußte und vermochte, auf andre übertragen
. Er las mit dem Sohn die von ihm verfaßte italienische Reisebeschreibung und machte ihn früh mit seiner Sammlung von Büchern und Stichen bekannt. Mit Freude beobachtete er die literarischen Fortschritte des Sohnes, heftete das, was ihm gelungen erschien, sorgfältig ab. Das blieb auch so in den späteren Jahren. Nicht zufällig hatte Johann Caspar für sein neu entworfenes Familienwappen die Leier gewählt, das Zeichen der Musen und schönen Künste.
    Gewiß wünschte er sich, der Sohn möge, wie er selbst, auch Jurist werden und dabei vielleicht sogar dieselben Stationen durchlaufen – Leipzig, Wetzlar, Regensburg –, doch sollte der Sinn für die Künste dabei nicht zu kurz kommen. In Goethes Advokaten-Zeit finanzierte er dem Sohn einen Schreiber, der ihn entlasten sollte, damit er sich auch weiterhin der schönen Literatur widmen konnte. Die ersten literarischen Ruhmestaten des Sohnes registrierte er mit großem Wohlgefallen. Er wünschte, daß der Sohn auf seinen Spuren nach Italien reisen möge;
ich sollte
, schreibt Goethe,
denselben Weg gehen, aber bequemer und weiter. Er schätzte meine angebornen Gaben um so mehr als sie ihm mangelten: denn er hatte alles nur durch unsäglichen Fleiß, Anhaltsamkeit und Wiederholung erworben. Er versicherte mir öfters, früher oder später, im Ernst und Scherz, daß er mit meinen Anlagen sich ganz anders würde benommen, und nicht so liederlich damit würde gewirtschaftet haben
.
    Als Goethe 1773 zusammen mit dem Vater ein Rechtsanwaltsbüro unterhielt, kehrte sich die gewöhnliche Hierarchie vollends um. Denn es war der Vater, der mit
langsamer Konzeption und Ausführung
sich als eine Art
geheimer Referendar
betätigte, der dem auch im Juristischen genialisch-schnellen Sohn die Akten vorlegte. Die
Ausfertigung
, schreibt Goethe,
ward von mir mit solcher Leichtigkeit vollbracht, daß es ihm zur höchsten Vaterfreude gedieh, und er auch wohl einmal auszusprechen nicht unterließ: »wenn ich ihm fremd wäre, er würde mich beneiden

    Selbstverständlich war der Vater für den Knaben eine Respektsperson, aber doch nicht eine solche Autorität, gegen die man sich mit großem Aufwand hätte wehren müssen. Ein symbolischer Vatermord war nicht nötig. Das ›in tyrannos‹-Pathos des ›Sturm und Drang‹ wird man bei Goethe nicht finden. Seine spätere Prometheus-Empörung hat wohl andere Ursprünge und andere Adressaten.
    Der Sohn mußte sich also kaum vom Vater emanzipieren, und in mancherlei Hinsicht nahm er dessen Eigenarten an. Seine Pedanterie und Sorgfalt, anfangs als eher lästig empfunden, kamen beim Sohn später auch zum Vorschein. Ausdrücklich lobt er des Vaters Hartnäckigkeit und Konsequenz – Eigenschaften, die er zunächst nicht zu den seinen zählte. Und doch gelangte Goethe zu Konsequenz und Ernst – über das Spiel. Auch die Konsequenz des Vaters hatte ja etwas Spielerisches, denn auch ihm war sie nicht durch äußere
Profession
auferlegt. Es waren Liebhabereien, die er aber mit allem Ernst und pedantischer Konsequenz betrieb. So war es auch beim Sohn, der nach Lust und Laune vieles anfing, manches Unfertige liegen ließ, aber das meiste doch irgendwann einmal fertig machte, auch wenn es, wie beim »Faust«, ein ganzes Leben dauern sollte.
    Vom Vater hab ich die Statur, / Des Lebens ernstes Führen / Von Mütterchen die Frohnatur / Und Lust zu fabulieren.
Die Mutter stand ihren Kindern
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