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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Autoren: Rüdiger Safranski
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hinterließ.
    Der Sohn Johann Caspar sollte etwas noch Besseres werden. Da man es sich leisten konnte, schickte man ihn auf das teure und hoch angesehene Gymnasium nach Coburg, dann nach Leipzig und Gießen, wo Johann Caspar, nach einem Praktikum am Reichskammergericht in Wetzlar, zum Doktor der Rechte promoviert wurde. Er sollte bei der Frankfurter Stadtregierung Karriere machen. Doch Johann Caspar hatte es nicht eilig, er wollte zuerst die Welt sehen und begab sich für ein Jahr auf eine große Reise, die ihn über Regensburg und Wien nach Italien und auf dem Rückweg nach Paris und Amsterdam führte. Er verfaßte über seinen Aufenthalt in Venedig, Mailand und Rom eine Beschreibung in italienischer Sprache, was für ein Jahrzehnt seine Hauptbeschäftigung war. Er hatte Muße genug, weil es ihm nach der Rückkehr 1740 nicht gelang, bei der Stadtbehörde unterzukommen. Goethe stellt die Dinge so dar, als hätte der Vater darum gebeten,
ohne
Ballotage
, also ohne Wahl und dafür auch ohne Bezahlung, wenigstens eines der
subalternen Ämter
übertragen zu bekommen. Als ihm das verwehrt wurde, habe er sich mit gekränktem Selbstgefühl geschworen, um keine Stelle mehr nachzusuchen und auch keine mehr anzunehmen. Doch hatte er die Gelegenheit ergriffen, beim Reichshofrat, der während der Regierungszeit Karls VII. in Frankfurt residierte (1741–44), den Titel eines ›Kaiserlichen Rates‹ zu kaufen, der üblicherweise nur dem Schultheiß und den ältesten Schöffen als besonderer Ehrentitel verliehen wurde.
Dadurch
, schreibt Goethe,
hatte er sich zum Gleichen der Obersten gemacht und konnte nicht mehr von unten anfangen.
Was er ja auch nicht wollte. So wurde Johann Caspar 1742 zum Rat ernannt von einem Kaiser, in den Katharina Elisabeth, seine spätere Frau, sich etwa zur selben Zeit mädchenhaft verliebte.
    Katharina Elisabeth war die älteste der Textor-Töchter. Man nannte sie ›Prinzessin‹, weil sie ungern Hausarbeiten verrichtete und lieber auf dem Sofa Romane las. Und wie eine Romanszene kam ihr, wie sie später Bettine von Arnim erzählte, die Krönung von Karl VII. vor, die sie als junges Mädchen 1742 erlebte. Das Mädchen war dem Kaiser in die Kirche gefolgt, hatte den schönen Jüngling mit dem melancholischen Blick beten und die langen schwarzen Augenwimpern aufschlagen gesehen. Die Posthörner, die sein Erscheinen ankündigten, konnte sie nie mehr vergessen. Einmal, so glaubte sie, hatte der Kaiser ihr vom Pferd herab sogar zugenickt. So fühlte sie sich auserwählt, und deshalb war sechs Jahre später die Verheiratung der Achtzehnjährigen mit dem einundzwanzig Jahre älteren Johann Caspar keine besonders große Sache. Sie heiratete »ohne bestimmte Neigung«, obwohl Johann Caspar doch auch ein »schöner Mann« war.
    Als Johann Caspar Goethe 1748 die Schultheiß-Tochter heiratete, kam ein weiteres Hindernis für die Aufnahme in den Rat hinzu, denn es galten in der Stadt strenge Regeln gegen Vetternwirtschaft. So blieb Johann Caspar ›Partikulier‹. Er privatisierte, beschäftigt mit der Verwaltung seines Vermögens, mit dem Schreiben seiner Reiseerinnerungen, mit dem Sammeln von Büchern und Bildern, mit einer Seidenraupenzucht und mit der Erziehung seiner Kinder, vor allem mit der des vielversprechenden Johann Wolfgang.
    Ob es sich mit dem Werdegang des Kaiserlichen Rates wirklich so verhielt, wie es Goethe andeutet, wissen wir nicht. Ob es ihm an Ehrgeiz mangelte, an Geschäftstüchtigkeit, ob seine juristischen Kenntnisse zu akademisch und nicht genügend praktisch gerichtet waren, ob es Vorbehalte gab gegen einen Gastwirtssohn, der vielleicht zu stolz auftrat, ob ihm seine Anhänglichkeit an den Wittelsbacher Karl VII. bei den Habsburgischen Nachfolgern zum Nachteil ausschlug – vielleicht hat alles zusammen den beruflichen Erfolg verhindert. Immerhin war der Vater, glaubt man der Darstellung des Sohnes, mit seiner Stellung durchaus zufrieden.
Meinem Vater war sein eigner Lebensgang bis dahin ziemlich nach Wunsch gelungen
.
    Wahrscheinlich aber gab es doch Probleme. Sie werden sogar in der sonst eher auf Harmonisierung und Glättung bedachten Darstellung von »Dichtung und Wahrheit« angedeutet. Beispielsweise wird berichtet, wie der Knabe von den Spielkameraden Despektierliches über seine Herkunft zu hören bekam. Der Vater sei wohl gar nicht ehrlich geboren, sondern dem Wiesenhofwirt nur untergeschoben. Ein vornehmer Mann habe diesen dazu gebracht,
äußerlich Vaterstelle zu vertreten
.
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