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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Autoren: Rüdiger Safranski
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Doch statt nun, erzählt Goethe weiter, die Verleumder an den Haaren zu ziehen oder aber sich zu schämen, habe dieses Gerücht seinem Selbstgefühl geschmeichelt:
Es wollte mir gar nicht mißfallen, der Enkel irgend eines vornehmen Herrn zu sein
. Der Knabe suchte von nun an in den Bildnissen vornehmer Herren nach Ähnlichkeiten und dachte sich einen ganzen Roman aus über seine adlige Abkunft. Es sei ihm
eine Art von sittlicher Krankheit eingeimpft
worden, schreibt Goethe und beschließt die Darstellung dieser Episode mit einer selbstkritischen moralischen Reflexion:
So wahr ist es, daß alles was den Menschen innerlich in seinem Dünkel bestärkt, seiner heimlichen Eitelkeit schmeichelt, ihm dergestalt höchlich erwünscht ist, daß er nicht weiter fragt, ob es ihm sonst auf irgend eine Weise zur Ehre oder zur Schmach gereichen könne.
Auffällig dieses unbeirrbare Selbstgefühl des Knaben.
Mit dem, was andern Leuten genügt, kann ich nicht fertig werden
, sagte er einmal. Da war er sieben Jahre alt.
    Die Episode zeigt nicht nur einen eitlen Knaben, sondern deutet auch darauf hin, daß die gesellschaftliche Stellung des Vaters nicht unumstritten war. Zu dessen Ansehen trug auch nicht bei, daß er mit der jungen Familie in dem Hause seiner Mutter, der Weidenhofwirtin, lebte. Bis zum Tode dieser Großmutter, deren sich Goethe als einer
schönen, hagern, immer weiß und reinlich gekleideten Frau
erinnert, war der Vater also noch nicht Herr im Haus am Hirschgraben und mußte mit der Realisierung seiner großen Pläne warten. Das wird ihm allerdings nicht schwer gefallen sein, da er auch sonst langsam und bedächtig verfuhr.
    Der Umbau des Hauses geschah im Jahre 1755. Das Nebenhaus wurde abgerissen und auf dem frei gewordenen Grund zuerst ein großer Weinkeller eingerichtet für die Bestände, die noch aus der ›Weidenhof‹-Zeit stammten. Es waren begehrte Jahrgänge darunter. Goethe läßt sich die Reste davon später nach Weimar nachschicken, wo Christiane Vulpius 1806 sie tapfer gegen die französischen Marodeure verteidigen wird.
    Es wäre am einfachsten gewesen, auch das Haupthaus einzureißen, dann aber hätten für den Neubau strenge Regeln befolgt werden müssen, die zum Beispiel das Überkragen der oberen Stockwerke verboten, was die Geräumigkeit vermindert hätte. So stützte man die Obergeschosse aufwendig und riskant ab, um unten neu bauen zu können. Trotz Lärm und Schmutz blieb die Familie bis auf wenige Wochen im Hause wohnen. Dem Knaben hat sich das alles tief eingeprägt. Einer seiner frühesten Texte, ein Dialog zwischen Vater und Sohn, handelt davon. Der Vater:
Setze bei viele Gefahr, welche die Handwerks-Leute gehabt, vornehmlich in Erbauung der Haupt-Treppe wie du hier siehest, da das ganze Gewölbe fast mit unzähligen Stützen unterbauet wurde
. Darauf der Sohn:
Und wir sind bei aller der Gefahr dennoch wohnen geblieben. Es ist gut wenn man nicht alles weiß, ich hätte gewiß nicht so ruhig geschlafen, als geschehen.
    Der Umbau und besonders das dabei entstandene geräumige Treppenhaus waren der ganze Stolz des Vaters, das ›Werk‹ eines Mannes, der ja sonst wenige Werke vorzuweisen hatte. An diesen Ehrenpunkt rührte der Sohn in einem Streit Ende 1768, bei der Rückkunft aus Leipzig. Der Vater zeigte sich unzufrieden mit den Studienerfolgen des Sohnes, der im Gegenzug die Umbauideen des Vaters kritisierte. Man habe für die Erweiterung des Treppenhauses zu viel Raum verbraucht, den man besser für die Vergrößerung der Zimmer genutzt hätte. Boshaft erinnerte er den Vater an seinen Zusammenstoß mit dem im Hause einquartierten französischen Stadtkommandanten Graf Thoranc während der französischen Besatzungszeit (1759–61) in eben diesem geräumigen Treppenhaus, das überhaupt erst die unerwünschten Begegnungen möglich gemacht hätte. Der ›fritzisch‹ gesinnte Vater hatte auf die Nachricht vom Sieg der Franzosen über die preußischen Truppen den Grafen Thoranc bei der Begegnung auf der Treppe nicht etwa beglückwünscht, sondern nur grimmig geknurrt:
ich wollte sie hätten Euch zum Teufel gejagt.
Fast wäre er dafür ins Gefängnis gekommen.
    Goethe berichtet diesen Vorfall mit Verständnis für seinen Vater, aber mit noch mehr Sympathie für Thoranc, den er als edlen, höflichen, rücksichtsvollen, vor allem aber kunstsinnigen Mann schildert. Thoranc etablierte in Frankfurt ein französisches Theater und sorgte dafür, daß der Knabe Zutritt erhielt. Thoranc förderte auch die
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