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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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gelandet waren, hatte die Sonne noch vom Himmel gebrannt.
    Jetzt aber, kaum eine Stunde später, als sie auf der anderen Seite aus dem Flughafengebäude traten, war es praktisch schon Nacht. Maria hatte ihr erzählt, dass die Dunkelheit hier so rasch hereinbrach, als ob ein schwarzer Vorhang vom Himmel fiele. Aber Carmen hatte es nicht recht geglaubt oder es sich jedenfalls nicht vorstellen können.
    Es schien so unwirklich, fast wie ein Trick – oder als ob auch hier draußen der Strom ausgefallen wäre.
    Straßenlaternen beleuchteten den Vorplatz, den ein Betondach überspannte. Im Hintergrund sah Carmen ein Durcheinander aus geparkten Autos, Palmen und Blechbaracken. Trotz der nächtlichen Dunkelheit war es so schwülheiß wie im Thermalbad.
    Der Kofferträger und Georg verluden ihr Gepäck in einen Van, der direkt vor dem Gebäude wartete. Auf dem Vorplatz standen Mengen zierlicher Männer herum, junge und alte, mit kakao-oder olivfarbener Haut. Die meisten trugen Schnurrbarte, verblichene T-Shirts und zerschlissene Jeans. Sie umringten Carmen und ihre Eltern und boten ihnen in melodischem Spanisch die unwahrscheinlichsten Dinge zum Kauf an – Zigaretten und Armbanduhren, Maiskolben und Lotterielose, Hähnchenfleisch, Erdnüsse und Ananasstücke, alles in schmierige Plastiktüten verpackt. Auch die Geldnoten, die sie in dicken Stapeln in Händen hielten und unablässig durchzählten, sahen so klebrig aus, als ob sie in Ölpfützen geschwenkt worden wären.
    »Quetzal heißt das Geld hier«, erklärte Georg nebenher und scheuchte alle Verkäufer fort, ohne sich ihre Waren auch nur anzusehen. Unter den Kindern aber, die ihnen schmutzige Hände entgegenreckten und große, bittende Augen machten, verteilte er kleine Münzen, bis der Kofferträger ihr Gepäck fertig verstaut hatte und die Hecktür des Vans zuknallte.
    Im Wagen gab es glücklicherweise eine funktionierende Klimaanlage. Carmen warf sich auf die hinterste Sitzbank und hoffte, dass weder Maria noch Georg sich zu ihr setzen würden. Sie war so voller Zorn und Selbstmitleid, dass sie am liebsten geschrien hätte. Oder geheult und mit den Fäusten um sich geschlagen. Wie Bertie, der dumme, großmäulige Bertie – sogar ihn würde sie für alle Zeiten klaglos ertragen, wenn sie nur zurückkehren dürfte in ihr früheres Leben.
    Der Kofferträger verwandelte sich in ihren Chauffeur, schwang sich hinter das Lenkrad und startete den Motor. Er schaltete die Aircondition auf volle Kraft und fuhr schwungvoll los. Vor den Fenstern zogen schattenhafte Bäume, Büsche, ab und an auch kleine Häuser vorbei. Leise begann Radiomusik zu plärren. Georg und Maria hatten sich auf die Bank vor Carmen gesetzt. Wieder flüsterte Maria aufgeregt auf ihren Mann ein, aber durch das Radio war nichts zu verstehen. Carmen wollte auch gar nicht wissen, worüber sie redeten. Über mich bestimmt nicht, dachte sie.
    Zu ihrer Rechten funkelte im Dunkeln der riesige See. Leise holte sie ihr Handy heraus und drückte die Wähltaste. Wieder erklang der hässliche Quäkton. »Keine Verbindung.« Carmen zog ein Taschen-tuch hervor und wischte sich verstohlen über die Augen.
    Hi, Lena. Eben fahren wir durch eine Slumsiedlung zu unserem Haus. Morgen mehr, falls ich dann noch lebe. Adiós, Carmen Schmale, flache Häuser säumten jetzt beide Seiten der Straße, die mit Schlaglöchern übersät war. Vor weit geöffneten Türen standen und saßen Familien mit so unglaublich vielen Kindern, dass sie unmöglich alle in den Häuschen wohnen konnten. Und doch war es so, wie Maria und Georg ihr erklärt hatten. Töpfe dampften auf Herden oder offenen Feuern am Straßenrand. Klapperdürre Hunde strichen um die Feuerstellen herum und wurden mit lautem Geschrei verjagt.
    Aus allen Fenstern drang schmetternde Radiomusik. Jeder schien einen anderen Sender zu hören und alle hatten offenbar den Ehrgeiz, ihre Nachbarn an Lautstärke zu übertrumpfen. Bierdosen wurden geschwenkt, Schnapsflaschen im Kreis herumgereicht. Auf einem kleinen Platz zwischen zwei Hütten drehten sich lachende Paare zwischen Müll und Gerumpel zum Tanz. Betrunkene lagen in der Gosse und schliefen ihren Rausch aus oder streckten die Bettlerhand nach ihrem Wagen aus, der im Schritttempo durch das lärmende Durcheinander fuhr.
    Carmen wusste nicht, was für eine Marke ihr Van war, mit Autos kannte sie sich nicht aus. Auf jeden Fall aber war der riesige, vor Chrom und Lack glitzernde Wagen mit dem starken Motor und der Aircondition
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