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Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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mich«, hauchte er.
    Hylas wollte zurückweichen, aber die eisigen Finger des jungen Mannes packten seine Hand.
    »Ich komme aus Keftiu«, sagte er stockend in Hylas’ Sprache. »Das ist eine große Insel weit draußen im Meer.« Die Erinnerung setzte ihm sichtlich zu. »Bald geht die Sonne auf und sie schließen das Grabhaus. Sie werden mich finden und den Geiern zum Fraß vorwerfen.« Er blickte Hylas ängstlich an. »Hilf meinem Geist, Frieden zu finden.«
    »Das geht nicht«, sagte Hylas. »Ich muss weiter. Wenn sie mich erwischen …«
    »Du brauchst unbedingt eine Waffe«, keuchte der Keftiu. »Nimm meinen Dolch, ich habe ihn gestohlen. Er ist kostbar, du musst ihn verstecken.«
    Hylas überlief es kalt. »Woher weißt du, dass ich keine Waffe habe?«
    Der Sterbende verzog erneut das Gesicht zu einem schaurigen Lächeln. »Ein Mann kriecht in ein Grabhaus, um zu sterben. Ein Junge kriecht in ein Grabhaus, um zu überleben. Hältst du das für einen Zufall?«
    Hylas musste sich entscheiden. Der Mond ging unter und die Zikaden stimmten bereits ihren frühmorgendlichen Gesang an. Wenn die Dorfbewohner kamen, durfte er nicht mehr hier sein.
    »Versteck mich«, flehte der Keftiu.
    Der Wunsch eines Sterbenden ist etwas Mächtiges. Hylas brachte es einfach nicht über sich, den jungen Mann im Stich zu lassen.
    Er machte sich rasch auf die Suche nach einem Versteck. Das Grabhaus war geräumig. Er stieß im Zwielicht gegen die aufgereihten tönernen Sarkophage. Manche davon waren für Kinder bestimmt und klein wie Kochtöpfe, andere deutlich größer. In der dunkelsten Ecke hob Hylas schließlich den Deckel eines Sarkophags an. Ein modriger Geruch nach verwestem Gebein schlug ihm entgegen.
    Um nichts in der Welt hätte Hylas diese Knochen mit bloßen Händen berührt. Er nahm einen zerbrochenen Pfeil und schob den Schädel und die größeren Knochen beiseite. »Ich kann dich nicht heben«, sagte er zu dem Keftiu. »Du musst selbst hineinklettern.«
    Es war schrecklich, den Sterbenden zu dem Sarkophag zu schleppen, ihn halb in das hochwandige Grab hineinzuhieven und seine Glieder anzuwinkeln, bis er darin lag wie ein Ungeborenes in einem Schoß aus Ton. Der Keftiu gab keinen Laut von sich, obwohl es die reinste Tortur sein musste.
    »Wie bist du hier hereingekommen«, fragte Hylas keuchend, als der junge Mann sicher versteckt war. »Und wer hat dich so schwer verletzt?«
    Der Sterbende schloss die Augen. »Sie kamen von Osten, aus Mykene. Sie sind … ich kenne das Wort dafür in eurer Sprache nicht. Sie sind Vögel, die so ein Geräusch machen.« Er krächzte leise.
    »Du meinst Krähen?«
    »Ja, wir nennen sie Krähen, weil sie so gierig sind und sich vom Tod der anderen nähren.«
    Hylas musste an die Schwarzen Krieger und ihre Umhänge denken, die wie Flügel flatterten.
    Der Keftiu rang sich ein Lächeln ab. »Es war dunkel. Ich habe zur Tarnung den groben Hasenfellumhang eines Armen angelegt. Sie haben mich für einen – Fremd-ling gehalten. Was bedeutet Fremd-ling ?«
    »Das bedeutet, dass du nicht in einem Dorf geboren bist«, erklärte Hylas knapp. »Du hast keine Ahnen, die dich beschützen, und darfst nicht im Dorf leben. Du bist von Opferritualen ausgeschlossen und bekommst daher auch kein Fleisch. Deshalb musst du heimlich jagen oder ein Schaf erlegen und behaupten, es sei durch einen Steinschlag getötet worden. Alle sehen auf dich herab. Das bedeutet es, ein Fremdling zu sein.«
    »Du bist ein Fremd-ling«, sagte der Keftiu und blickte ihn an. »Du siehst anders aus und hast anderes Haar als die Menschen hier. Du gehörst zum Volk der Wildnis. Leben in Lykonien viele Fremd-linge?«
    Hylas schüttelte den Kopf. »Soviel ich weiß, bloß eine Handvoll.«
    »Hast du Verwandte?«
    Hylas schwieg. Als Neleos ihn und seine Schwester damals in den Bergen gefunden hatte, besaßen sie, bis auf das Bärenfell, auf dem sie lagen, nichts. Neleos hatte ihnen gesagt, ihre Mutter hätte sie ausgesetzt. Hylas hatte ihm diese Geschichte nie geglaubt. Zum einen, weil er Neleos sowieso kein Wort glaubte, und zum anderen, weil es nicht zu den Erinnerungen passte, die er an seine Mutter hatte. Sie hatte ihn und Issi geliebt, da war er sich sicher. Sie hätte ihre Kinder niemals ohne Not ihrem Schicksal überlassen.
    »Auf meiner Insel«, murmelte der Keftiu, »nennen wir solche wie dich Menschen der Wildnis . Sie tragen Bemalungen auf der Haut. Aber du nicht. Woher wissen sie, was du bist?«
    Hylas berührte sein linkes
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