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Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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Ohrläppchen. »Siehst du die Narbe hier? Sie stammt von Neleos. Als er uns gefunden hat, hat er sie mit dem Messer eingeritzt.« Er schluckte. Er hatte Issis Schmerzensschreie, als sie an die Reihe kam, niemals vergessen.
    »Ehrt ihr die Große Göttin?«, hauchte der Keftiu.
    »Wieso?«, fragte Hylas verblüfft. »Wir, also, wir verehren den Berggott und die Herrin der Wildnis. Aber was hat das damit zu tun, dass …«
    »Aah, das ist sehr gut …«
    »Erzähl mir lieber von den Krähen«, fiel Hylas ihm ungeduldig ins Wort. »Wer sind sie? Und warum sind sie hinter Fremdlingen her?«
    »Die Große Göttin hat in jedem Land einen anderen Namen, aber Sie ist immer dieselbe Göttin und …«
    Hylas wollte antworten, doch plötzlich rief ein Wiedehopf drüben am Hang sein deutliches Hup-hup-hup. Bald tagte es. »Ich muss weiter«, sagte er.
    »Nein! Bleib noch! Ich will nicht allein sterben!«
    »Aber ich kann nicht!«
    »Ich habe Angst!«, bettelte der Keftiu. »In meiner Heimat bestatten wir unsere Toten am Meer. Ich habe nicht einmal etwas bei mir, das dem Meer gehört. So werde ich nie mehr nach Hause zurückkehren.«
    »Du hast den Fisch auf deiner Brust.«
    »Das ist kein Fisch, sondern ein Delfin , aber er ist aus Elfenbein! O bitte …«
    Unnachgiebig raffte Hylas seine Ausrüstung zusammen, krabbelte aber kurz darauf mit einem gereizten Ausruf wieder zu dem Sterbenden zurück.
    »Hier«, stieß er hervor, riss sich das Amulett vom Hals und drückte dem Keftiu den kleinen Beutel in die Hand. »Mir hat es bisher nicht viel geholfen, aber du stirbst ohnehin. Es sind Kristallsplitter und Haare vom Schweif eines Löwen drin. Die Splitter habe ich auf dem Gipfel gefunden, sie verleihen angeblich Stärke, und den toten Löwen habe ich in einer Höhle entdeckt. Seine Haare verleihen Mut. Außerdem ist in dem Beutel eine Muschel. Ich weiß zwar nicht, wozu sie gut sein soll, aber immerhin ist es etwas aus dem Meer.«
    »Eine Muschel!« Das Gesicht des Sterbenden hellte sich auf. »Dann warst du also schon einmal am Meer?«
    »Nein, noch nie. Die Muschel ist ein Geschenk, aber ich habe nicht …«
    »Die See wird alle deine Fragen beantworten! Und das Meervolk wird dich finden …« Er packte Hylas am Handgelenk, zog ihn dicht zu sich herunter und fixierte ihn beunruhigend eindringlich mit seinen braunen Augen. »Sie wissen, dass du kommst«, stieß er hervor. »Sie suchen nach dir in ihrer tiefblauen Welt. Sie werden dich finden.«
    Hylas schrie auf und riss sich los.
    »Das Meervolk bringt dich zu seiner Insel. Dort gibt es fliegende Fische und singende Höhlen, laufende Hügel und Bäume aus Bronze …«
    Er fantasierte anscheinend. Dumpfes, graues Licht stahl sich allmählich ins Grabhaus. Hylas warf sich den Trinkschlauch über die Schulter und streckte die Hand nach dem Vorratsbeutel aus.
    »Sobald du das Meer erreicht hast …«, fuhr der Keftiu unbeirrt fort.
    »Ich sag dir doch, ich gehe nicht zum Meer.«
    »… musst du den Wellen eine Haarsträhne von mir geben.«
    »Unmöglich, das hab ich dir doch schon gesagt.«
    »Nimm eine Strähne, du musst mir sofort eine Locke abschneiden …«
    Zähneknirschend nahm Hylas eine Pfeilspitze, schnitt eine krause, schwarze Strähne aus dem Schopf des Sterbenden und stopfte sie in seinen Gürtel. »So! Siehst du! Jetzt muss ich aber wirklich verschwinden.«
    Der Keftiu sah lächelnd zu ihm auf. Diesmal war es kein verzerrtes Grinsen, sondern ein aufrichtiges Lächeln. »Am Meer musst du das Meervolk bitten, meinen Geist zu holen. Du wirst sie gleich erkennen, wenn sie durch die Wellen auf dich zukommen. Sie sind so stark und schön. Sie werden mich zur Leuchtenden bringen und mit Ihr werde ich meinen Frieden finden wie ein Wassertropfen, der endlich ins Meer fällt …«
    »Zum allerletzten Mal, ich gehe nicht zum Meer!«
    Der Keftiu schwieg.
    Irgendetwas an der plötzlichen Stille veranlasste Hylas, zum Sarkophag zurückzugehen und hineinzuspähen.
    Der junge Mann starrte ihn mit gebrochenen Augen an.
    Unwillkürlich beugte sich Hylas vor und strich ihm behutsam über die magere Wange. Schon wich die Wärme aus dem Körper des Toten wie Wasser, das in trockener Erde versiegt. Gerade noch war diese Gestalt ein Mensch gewesen, und plötzlich war bloß eine leere Hülle von ihm übrig.
    Wieder ertönte der Ruf des Wiedehopfes.
    Vorsichtig ließ Hylas den schweren Sargdeckel herab und murmelte ein rasches Gebet.
    Es war so hell geworden, dass er die vielen Sarkophage an der
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