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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition)
Autoren: Peter Wagner
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noch etwas zu erledigen, und ich wollte es nicht länger hinausschieben. Sonst würde ich es möglicherweise zu lange überdenken.

    Der Koloss fühlte sich nicht so wohl wie ich. Seine Bewegungen waren weiterhin eher panisch als koordiniert. Immer noch drangen seine Gedanken in mein Gehirn, und immer noch waren sie von Angst und Verzweifelung durchtränkt. Er hielt nach dem Ufer Ausschau, konnte es aber nicht entdecken. Ich musste schnell handeln, bevor er sich und seine Kräfte wieder sammeln konnte.

    Mit ruhigen Armbewegungen schwamm ich auf ihn zu. Dabei fühlte ich fast so etwas wie Mitleid in mir. Ja, mir tat dieses Riesenbaby Leid, das da nach seiner Mami und nach seinem Gott schrie. Er war mutterseelenallein und völlig gottlos. Armer Koloss.

    Als ich ihn erreicht hatte, suchte ich mit meiner rechten Hand erst einmal nach seinen Eiern. An welcher Stelle sonst wäre so ein harter Kerl verwundbar gewesen, wenn nicht an seinen Weichteilen? Und irgendwie wollte ich ihm auch meine Ankunft kundtun. Er sollte wissen, dass ich wieder bei ihm war. Und dass ich definitiv nicht gekommen war, um ihn zu retten. Er sollte nicht nur den Fluss fürchten, er sollte auch mich fürchten.

    Ich fand seine Eier, und um ihn das wissen zu lassen, griff ich zu. Ich griff
kräftig
zu! Ich hatte schon vor meinem Unfall mit der bloßen Hand eine Nuss knacken können. Täglich zweimal hartes Training wirkte sich halt positiv auf die Entwicklung eines Körpers aus. Bei einem Schwimmer unter anderem auf die Armmuskulatur. Seit ich in dem Rollstuhl saß, und jeden Tag auf die Unterstützung meiner Armmuskeln angewiesen war, hatten sich meine Muskeln in diesem Bereich natürlich auch entsprechend entwickelt.

    Und genau das bekam der Riese jetzt zu spüren.
    Er schrie laut auf. Er vergaß sogar seine Mutter, und selbst Gott wurde in dieser Sekunde zur Randfigur.
    Ich wusste, was er nun sah. Schwarze Punkte, die mit grellen Blitzen einen Wettkampf ausfechteten.

    Welcher Mann kannte diese Schmerzen nicht? Welcher Junge hatte nicht schon einmal einen Fußball in die Hoden bekommen? Ich hatte dieses Vergnügen jedenfalls einige Male genießen dürfen. Allerdings, und zu meinem Glück, hatte noch nie ein Nussknacker Hand an mir gelegt.

    Wenn man dem Koloss das erste Mal begegnete, dann wirkte er tatsächlich unverwundbar. Er überragte einen durchschnittlich gewachsenen Mann um mehrer Köpfe, sein Körper war dermaßen robust gebaut, dass er wie ein natürlichgewachsener Panzer wirkte. Dazu dieses Gesicht, diese Augen! Wenn man in diese bösen Löcher blickte, dann sah man Blut, Knochensplitter und Verwesung. Aber man sah keine Angst oder Schmerzen.
    Aber genau das sah ich jetzt, als ich ihn anblickte, denn er hatte sich natürlich zu mir umgedreht. Er hatte wieder geschrieen, dieses Mal noch lauter als beim ersten Mal. Ich dachte zuerst, es sei wieder ein Schmerzensschrei, denn so schnell vergingen
diese
Schmerzen nicht. Aber das war es nicht. Dann dachte ich, es sei ein Wutschrei gewesen, denn er hatte gute Gründe, auf mich sauer zu sein.
    Aber es war ein Angstschrei gewesen. Als er mich erblickt hatte, war ihm klar geworden, dass sein Leben in ernsthafter Gefahr war. Und damit wäre auch seine „göttliche Mission“ zum Scheitern verurteilt gewesen. Ich glaubte, er hatte nicht so sehr Angst davor zu sterben, als vielmehr, nicht in den Himmel zu kommen, weil sein Gott enttäuscht von ihm sein könnte.

    Er bekam meinen Kopf zu fassen und tauchte mich unter. Ich war nicht besonders überrascht über diese Aktion und entsprechend vorbereitet. Er konnte mich im Wasser unmöglich
fest
halten und ich tauchte einfach unter seinen Händen weg.

    Ich blieb einige Sekunden unter Wasser um ihn nervös zu machen. Ich konnte undeutlich erkennen, wie er mit seinen Baumstämmen wild strampelte. Andere Menschen haben an diesen Stellen Beine. An ihm zappelten zwei prachtvolle Exemplare der Pflanzengattung
Quercus
, auch bekannt unter dem Namen „Eiche“. Allerdings hätte sich eine Eiche wohl geschickter im Wasser angestellt, als er das tat. Ich machte einige kräftige Armzüge und tauchte unter ihm hindurch, sodass ich auf seiner anderen Seite wieder auftauchte. Unterwegs überlegte ich mir den nächsten Angriff, und mir fiel eine weitere Schwachstelle ein. Eine Stelle seines Körpers, die nicht mit einem schützenden Muskelpanzer überwuchert war.

    Ich tauchte auf, doch in seiner Panik registrierte er mich nicht. Ich musste tatsächlich
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