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G'meinsam durch den Monsun in die Nacht

G'meinsam durch den Monsun in die Nacht

Titel: G'meinsam durch den Monsun in die Nacht
Autoren: Georg Boettcher
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schnitt Steve irgendwelche Grimassen. Auf einem streckte er
sogar frech die Zunge raus. Beim genaueren Hinsehen fiel mir dann etwas auf, ein
kleiner heller Punkt auf seiner Zunge blitzte fröhlich in der Wintersonne.
    „Ey cool, da sieht man ja mein
Zungen-Piercing.“
    „Dein was?“, fragte ich. Weil er
sich nicht wiederholen wollte, streckte er mir einfach stolz seine Zunge entgegen.
    Auch fiel mir in diesem Moment zum
ersten Male sein Augenbrauen-Piercing auf. Beides sah wirklich total cool an
ihm aus und für einen winzigen Augenblick erwischte ich mich sogar dabei, wie
ich mir Marco mit gepiercter Zunge vorstellte. Obwohl ich diesen Gedanken, danach
zumindest vorerst wieder verwarf.
    Der Kleine genoss es jedenfalls
sichtlich, wieder einmal im Mittelpunkt zu stehen. Munter erklärte er wie so
was gemacht wird und was man alles bei der Pflege beachten müsse. Hätte Miro
ihm nicht irgendwann mit einem Kuss die Lippen versiegelt, wäre sein Vortrag
wohl noch länger ausgefallen.
    Auch die restliche Zeit
verging wie im Fluge nach einigen Runden Scrabble und anderen Gesellschaftsspielen,
bei denen Steven uns gnadenlos abzog, machten auch Sören und ich uns fertig für
den Abend. Miro und Steven nutzten die gemeinsame Zeit noch aus, um sich zu
verabschieden, als ob es auf eine jahrelange Polarexpedition ginge. Nach
gefühlten zwei Stunden, in Wirklichkeit waren es nicht einmal zwanzig Minuten,
marschierten wir drei dann gut gelaunt Richtung Schwiegeronkel Franz und Marie.
    Davon, dass uns neben
der Bescherung, noch eine weitere Überraschung erwartete, die besonders meinen
Sören zu Tränen rühren würde, hatten wir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht die
geringste Ahnung.
    Wie auf Bestellung hatte es den
ganzen Nachmittag geschneit und alles um uns herum erstrahlte in frischem
weißen Glanz. Unser Weg führte vorbei an weihnachtlich geschmückten, Fenstern, Fassaden
und Vorgärten, bis wir endlich vor der Villa meines Paten standen. In der Tür
hing ein Kranz und über der Tür ein Mistelzweig. Kurz entschlossen, der
Tradition folgend, nahm ich meinen Marco in den Arm und küsste ihn, bevor wir
schellten und Marie uns öffnete. Sie sah total verändert aus. Ihr Haar, welches
sie sonst immer zu einem strengen Dutt geknotet trug, hing wallend herab und
sie hatte sich sogar extra ein paar blonde Strähnchen machen lassen. Statt
ihres gewohnten Looks trug sie ein wunderschönes Kleid, welches angenehm mit dem
Make-up und der neuen Frisur kontrastierte. Auf den ersten Blick hatte ich sie
gar nicht erkannt, denn sie sah mindestens fünfzehn Jahre jünger aus. Gerade
als ich uns vorstellen wollte, begann sie in ihrer unverwechselbaren Art zu
reden.
    „Kommt ihr ooch noch mal? Wir
wollten jerade ‘ne Vermisstenanzeije ufjeben. Denn mal nüscht wie rin in die
jute Stube.“
    Auch mein Onkel hatte sich an
diesem Abend besonders fein gemacht, sodass wir drei uns beinahe underdressed
fühlten, als wir ins Esszimmer traten. Er sah beinahe aus, als ob er zum Wiener
Opernball gehen wolle, in seinem schwarzen Smoking, dem weißen Hemd und der
dazu passenden Fliege. Zwar gehörte es schon immer dazu, dass wir uns
Heiligabend ein wenig fein machten, aber dieser Anblick war für mich dann doch
ungewohnt.
    So saßen wir jetzt also alle
zusammen und ich fragte mich die ganze Zeit nach der Bedeutung dieses Aufzugs
der beiden. Auch in Marcos Augen sah ich deutliche Fragezeichen, wobei Simone
und Martin bereits zu wissen schienen, was gleich passieren würde, denn sie
saßen völlig entspannt da und plauderten ein wenig mit ihrem Jüngsten. Als auch
Marie dann endlich ihren Platz eingenommen hatte, erhob Onkel Franz sein Glas …
stand auf und begann eine kleine Rede.
    „Sören und Marco, ich wende mich
jetzt besonders an euch, weil du Marco ja mittlerweile auch irgendwie zur
Familie gehörst. Nachdem Marie jetzt bereits seit fast 26 Jahren, hier in
diesem Hause als Hausmädchen ihren Dienst versehen hat, haben wir uns während
eures Aufenthalts in Köln, entschlossen dieses Dienstverhältnis mit Beginn des
neuen Jahres zu beenden.“
    Jetzt machte er eine kleine
Kunstpause.
    „Aber Onkel Franz, des kannst doch
nit mach’n.“
    Verzweifelt blickte ich zu Marie
herüber und stand auf.
    „Marie bitte … du warst mir wie
eine Mutter, hast hier immer dazu g‘hört. Des darf doch jetzt nit einfach so
vorbei sein. Jetzt sag doch auch was dazu“. Erste Tränen rollten über meine
Wangen.
    „Engelchen, det hat schon allet
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