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Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Titel: Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
Autoren: Hermann Scherer
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Grundbedürfnis nach Sicherheit klar und deutlich übertroffen wird von dem Grundbedürfnis nach neuen Erfahrungen. Und mich interessiert einfach, was die einen von den anderen unterscheidet. Die einen, das sind wir alle. Die anderen, das sind die Glückskinder. Und die Glückskinder sind die, die die Chancen sehen.
    Die Glückskinder sind die Trash-Kometen. Mit ihrem Schweif von Chaos ziehen sie über den Himmel. Ihr Schwerefeld saugt alles an, wirbelt es durcheinander und setzt es neu zusammen. Sie sind mehr oder weniger Besessene, Aufsässige, Freaks. Kein Wunder, dass sie vor ihrem Durchbruch oft Außenseiter sind. Sie kennen kein Benimm, kein Pardon und keine Verwandten. Sie platzen überall rein, sie fassen alles an, sie stellen alles auf den Kopf. Sie sind verrückt, so verrückt, dass sie sogar glauben, die Welt ändern zu können. Genau deshalb gelingt es ihnen. Manchmal.
    Und wir? Wir wollen feiern, zufrieden sein, bequem leben im goldenen Käfig, innerhalb der Grenzen. Wir verschließen die Augen vor den Chancen. Weil wir sie nicht sehen, nutzen wir sie nicht. Weil wir sie nicht nutzen, glauben wir keine zu haben. Weil wir glauben, |31| keine zu haben, sind wir frustriert. Und beneiden die, die welche haben und sie nutzen. Wir benutzen den Expresslift im Empire State Building ganz einfach deshalb nicht, weil wir zufrieden sind.
    Wir wählen die warme, abgestandene Luft, nicht die kühle Brise. Wir gehen nicht voran, wir stellen uns an. Wir wählen die Sicherheit und mit ihr die Blindheit. Wir wählen den Spatz in der Hand. Und mit vollem Recht. Das ist eine legitime Wahl. Denn der Preis, den die Glückskinder bezahlen, ist bisweilen hoch, und den zu bezahlen, das kann keiner verlangen. Als Marcel Reich-Ranicki in einem Interview anlässlich seines 90. Geburtstages sein Leben resümierte, fiel das so aus: »Ich bin nicht glücklich. Ich war es nie.«

|32| Z WECKOPTIMISMUS
    Warum die Menschen nicht loslassen
    W ir bitten Sie, auch im Haus und während des Essens zu schweigen. Wenn Sie sich auf die Stille einlassen, werden Sie erleben können, wie wohltuend dies sein kann.«
    Meine einzige Aufgabe ist es, sitzen zu bleiben und den Mund zu halten.
    Einfacher gesagt als getan … Ich bin mal wieder im Benediktushof in Würzburg, beim Zen- und Kontemplationsmeister Willigis Jäger. Das Schweigegebot hat mich schon auf der Website des Klosters empfangen, und hier auf dem Klostergelände ist es allgegenwärtig. Immer. Überall. Aber ich bin ja hier, um mich auf die Stille einzulassen, genau deshalb. Meine einzige Aufgabe ist es, sitzen zu bleiben und den Mund zu halten. Den ganzen Tag. Eine ganze Woche lang.
    Um 6:00 Uhr morgens geht es los. Ich sitze gemeinsam mit ein paar anderen in einem schlichten Raum auf den Knien. Unterm Hintern habe ich ein kleines Meditationskissen, damit ich das überhaupt so lange aushalte, ohne große Schmerzen. Schmerzen hat hier jeder, der es nicht gewohnt ist. Schmerzen davon, dass man sich einfach nicht bewegt. Was macht man mit den Schmerzen? Sich bewegen, sich anders hinsetzen, aufstehen, sich kratzen? Nichts, einfach nichts. Noch nicht einmal an den Schmerz denken. Geht gar nicht, gar nicht denken. Was macht man mit Gedanken? Meine Gedanken toben in der Regel nur so in meinem Kopf. Meine Gedanken sind wie ein Red-Bull-getränkter Wirbelsturm. Immer, überall, |33| bis in den Schlaf. Mein Antrieb, mein Motor, mein Taktgeber. Was soll ich nun mit meinen Gedanken machen – im Kloster? Ich könnte ein neues Business-Modell entwickeln, mir eine neue Firma ausdenken, ein Buch in Gedanken schreiben – doch nein, nichts dergleichen. Wir sollten, so meinte der Meister in der Einführung, die Gedanken einfach weiterziehen lassen. Meine Aufgabe ist, sie nicht etwa zu verdrängen oder gegen sie anzukämpfen, sondern ich übe mich darin, sie vorbeiziehen zu lassen wie eine Wolke am blauen Himmel. Wie einen Zug. Der Zug nähert sich, ist da und beginnt wieder zu verschwinden. Da kommt er, da ist er, da war er. Oh Gott, wie viele Züge fahren denn eigentlich durch mein Hirn?! Der Münchner Hauptbahnhof scheint mir gegen meinen Kopf eine Hundehütte zu sein, naja, ist ja auch ein Kopfbahnhof.
    Da ist der Schmerz, er ist gekommen, er ist da, er ist da, er ist immer noch da. Wie kann man Schmerzen ziehen lassen, wenn man an Schmerzen denkt? Wie kann man nicht an Schmerzen denken, wenn es schmerzt? Irgendwann scheint er weg zu sein. Jetzt bloß nicht dran denken, sonst kommt er ja wieder.
    Nach
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