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Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Titel: Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
Autoren: Hermann Scherer
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Nun habe ich einen neuen Steuerberater, und es geht. Glücklicherweise habe ich das nie studiert, das, warum es nicht geht. Komisches Studienfach.
    Eine Wissensgesellschaft ist eben noch lange keine Innovationsgesellschaft. Neue Ideen entstehen nicht aus gesichertem Wissen, sondern aus der Rekombination von vorhandenem Wissen. Ihre potenzielle Zahl wächst exponentiell mit der Zahl der Erfahrungen. Das ist simple Stochastik. Also braucht es möglichst viele verschiedene Erfahrungen. Und neue Erfahrungen macht man nicht durch die Anwendung dessen, was man ohnehin schon weiß. Warum jeden Tag den gleichen Weg zur Arbeit nehmen? Warum die Maus immer mit rechts bedienen? Wer wirklich Chancen im Leben erkennen will, muss Chancen jagen: beispielsweise, indem er am laufenden Band neue Erfahrungen macht.
    Warum kriegen 99,9 Prozent der Menschheit nur 0,01 Prozent des Planeten zu sehen? »Australien? Unendlich weit weg. Ja, muss man mal gesehen haben im Leben. Aber wenn ich schon hinfahre, dann richtig.« Diesen Satz habe ich schon von 20-, 30-, 40-, 50-, 60- und 70-Jährigen gehört. Nach 70 bewegt sich aber nicht mehr allzu viel, das werden Sie zugeben, weshalb es meist bis zum Schluss beim Vorsatz bleibt. Ich bin da einfach mal hingeflogen. Es war überraschenderweise weder besonders teuer noch besonders kompliziert – noch besonders aufregend. Das weiß ich aber nur, weil ich dort |29| war. Und ich war dort, weil ich reise, seit ich denken kann. Wer mit 14 schon dreimal New York gesehen hat, hat es im Leben leichter als Heiner, den Muttern mit 28 zum ersten Mal ins Sauerland mitnimmt. Nur wer die Welt bereist, sieht sie differenziert. Die einzige gefährliche Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die sich die Welt nicht angeschaut haben.
    Die einzige gefährliche Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die sich die Welt nicht angeschaut haben.
    Entscheidend ist dabei nicht das nackte Wissen über ferne Länder und andersartige Lebensentwürfe, sondern die dazu passenden Erfahrungen, die man nur selbst machen kann. Je reicher die Erfahrungen, umso reicher das Selbstverständnis und umso detaillierter der Blick auf den Alltag. Wer Chancen sucht, muss immer wieder neue Sichtweisen finden, insbesondere auf die Details. Auch bei sich selbst. Dazu muss man neugierig sein. Doch das wurde den meisten von uns schon als Kind abtrainiert. Denn wir wollen verständlicherweise, dass unsere Kinder auf der sicheren Seite bleiben.
    Ein zwölfjähriger Junge aus Louisville war so neugierig. Vor allem aber hatte er eine Stinkwut im Bauch, weil ihm jemand das Rad geklaut hatte. Er wusste genau, wer. Doch die Kentucky State Police scherte sich nicht um das Rad eines kleinen schwarzen Jungen. Deshalb stand er 1954 mit Schaum vorm Mund in einem Box-Gym und bat um Unterricht. Er wollte die sichere Seite verlassen. Irgendwann kurz darauf, da bin ich sicher, hatte Clay zu seinem ersten großen Fight den Fahrraddieb gestellt. Und ich wette, er hatte ihn gewonnen. Zehn Jahre später stand er in seinem ersten Weltmeisterschaftskampf gegen Sonny Liston. Die
New York Times
schrieb vor diesem Kampf um den Thron im Olymp der Boxwelt: »Der auf lästige Weise selbstbewusste Clay bestreitet diesen Titelkampf mit nur einem unbedeutenden Nachteil. Er kann nicht so gut kämpfen, wie er reden kann.«
    Weil sie sich konservieren wollen, statt sich immer wieder neu zu erfinden.
    Clay antwortete im Ring und schlug Liston 7: 1. So weit so gut. Doch dann legte er eine überraschende Volte hin: Statt sich im Erfolg |30| von der amerikanischen Historie vereinnahmen zu lassen, brach er in spielerischem Alpha-Furor mit Kultur und Namen. Er erfand sich neu. Er bekannte sich zur Nation of Islam und wurde als Muhammad Ali der, den wir heute kennen – einer der größten Sportler des 20. Jahrhunderts. Es spielt keine Rolle, ob es nun der Islam oder der Buddhismus oder sonst eine religiöse Spielart war, es ist egal, ob er sich Ali, Isaac, Tenzin oder Franziskus nannte. Entscheidend ist die Einstellung zum Leben, die sich daraus erschließt. Warum bei den meisten anderen der erste Erfolg auch der letzte ist? Weil sie sich konservieren wollen, statt sich immer wieder neu zu erfinden.
    Kein Wunder, Sicherheit ist nun einmal ein Grundbedürfnis des Menschen. Kein Mensch kann vernünftigerweise von allen Menschen verlangen, dass sie sich ständig neu erfinden. Auch ich nicht. Aber es gibt eben einige wenige solche verrückten Menschen, bei denen das
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