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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall
Autoren: Marian Keyes
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Mensch, klar, aber nachdem ich jetzt daran gedacht hatte, fiel mir ein, dass ich seit heute Morgen sieben Uhr, also seit gut zehn Stunden, nichts mehr gegessen hatte. Im Radio spielten sie einen Song von den Laddz – schon der zweite an dem Tag, wenn das kein Pech ist! –, und während die sentimentalen, sirupzähen Klänge das Auto füllten, hatte ich einen Moment lang den überaus heftigen Wunsch, gegen einen Pfosten zu fahren.
    Zur Linken kam eine Tankstelle in Sicht, vor der das rote Schild, das eine Cafeteria ankündigte, einladend in der Luft baumelte. Ich konnte mich aus diesem Stau herausstehlen und mir einen Donut kaufen. Nur dass die Donuts, die man an solchen Tankstellen kaufen kann, ungefähr so gut schmecken wie die Schwämme, die am Meeresboden lie gen; es wäre besser, sich damit zu waschen. Außerdem kreiste über den Zapfsäulen ein riesiger Schwarm schwarzer Aas geier, die mich irgendwie nervös machten. Nein, dachte ich, ich bleibe im Stau stehen, geduldig, und …
    Moment mal! Aasgeier?
    In einer Stadt?
    Bei einer Tankstelle?
    Ich blickte wieder in den Himmel – es waren keine Geier. Es waren Möwen. Ganz gewöhnliche irische Möwen.
    Dann dachte ich: O nein, bitte nicht das wieder.
    Eine Viertelstunde später hielt ich vor dem Haus meiner Eltern, sammelte mich einen Moment und suchte dann nach dem Hausschlüssel. Als ich drei Jahre zuvor ausgezogen war, wollten sie, dass ich ihn dalasse, aber vorausschauend, wie ich bin, habe ich ihn behalten. Mum redete davon, dass sie das Schloss austauschen würden, aber wenn man bedenkt, dass es acht Jahre gedauert hat, bis sie und Dad sich zum Kauf eines gelben Eimers durchringen konnten, wie standen da die Chancen, dass sie eine so komplizierte Sache wie ein neues Schloss organisiert bekommen würden?
    Ich traf sie in der Küche an, wo sie Tee tranken und Kuchen aßen. Alte Leute. Was für ein fantastisches Leben sie hatten. Auch die, die kein Tai-Chi machten. Sie sahen auf und starrten mich mit kaum verhohlenem Unmut an.
    »Ich habe euch etwas mitzuteilen«, sagte ich.
    »Was machst du hier?«, fragte Mum.
    »Ich wohne hier.«
    »Nein, du wohnst nicht hier. Wir sind dich endlich los geworden. Wir haben dein Zimmer neu gestrichen. Wir waren noch nie so glücklich.«
    »Ich habe gesagt, ich habe euch etwas mitzuteilen. Das ist es, was ich euch mitzuteilen habe: Ich wohne hier.«
    Jetzt bekam sie es mit der Angst. »Du hast deine eigene Wohnung.« Sie sträubte sich, verlor aber an Überzeugungskraft. Wahrscheinlich hatte sie schon damit gerechnet.
    »Das stimmt nicht«, sagte ich. »Seit heute Morgen habe ich keine Wohnung mehr.«
    »Die Leute von der Hypothekenbank?« Unter der Standard-Grundierungscreme für irische Mütter war sie aschfahl.
    »Was ist denn los?« Dad war taub. Außerdem häufig verwirrt. Man konnte nur schwer feststellen, welche Beeinträchtigung jeweils im Vordergrund stand.
    »Sie ist mit ihren Zahlungen im RÜCKSTAND «, sagte Mum in sein gesundes Ohr. »Die Bank hat sich ihre Wohnung ZURÜCKGEHOLT .«
    »Ich konnte mir die Rückzahlungen nicht mehr leisten . So wie du es sagst, klingt es, als wäre es meine Schuld. Außerdem ist es viel komplizierter.«
    »Du hast doch einen Freund«, sagte Mum mit einem Fünkchen Hoffnung. »Kannst du denn nicht bei dem einziehen?«
    »Das sind ja ganz neue Töne, von dir, der strengen Katho likin.«
    »Wir müssen schließlich mit der Zeit gehen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Bei Artie kann ich nicht wohnen. Seine Kinder erlauben das nicht.« Das stimmte nicht ganz. Nur Bruno wollte das nicht. Er hasste mich, aber Iona war ganz freundlich, und Bella verehrte mich sogar. »Ihr seid meine Eltern. Bedingungslose Liebe, wenn ich euch erinnern darf. Meine Sachen sind im Auto.«
    »Was? Alles?«
    »Nein.« Ich hatte für den Tag zwei Männer angeheuert, die bar auf die Hand bezahlt wurden. Was mir noch an Möbelstücken blieb, war jetzt in einem Lagerhaus jenseits des Flughafens untergebracht und wartete dort auf bessere Zeiten. »Nur meine Klamotten und ein paar Sachen für meine Arbeit.« Ziemlich viele, um ehrlich zu sein, denn mein Büro hatte ich schon im letzten Jahr aufgegeben. Und ich hatte auch eine Menge Klamotten dabei, obwohl ich beim Packen schon unglaublich viel aussortiert hatte.
    »Aber wann hat das denn mal ein Ende?«, fragte Mum in einem Jammerton. »Wann kommen wir endlich in den Genuss unserer goldenen Jahre?«
    »Nie.« Dad sprach plötzlich mit großer Überzeugung. »Sie ist
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