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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall
Autoren: Marian Keyes
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würde es seine Mütze ziehen und sich an die etablierte Ordnung halten. Das Schieferdach sackt ein wenig durch, und die Haustür ist so niedrig, dass nur Menschen, die offiziell als Zwerge klassifiziert sind, durch sie hindurchgehen können, ohne sich den Schädel an dem Balken zu zerschmettern.
    Ist man aber erst mal drin, stellt man fest, dass jemand die ganze rückwärtige Mauer weggenommen und durch ein futuristisches Wunderland aus Glas, einem schwebenden Treppenhaus, Schlafzimmern wie Schwalbennester und Fenstern im Dach ersetzt hat.
    Mum war bisher erst einmal da gewesen, zufällig – ich hatte ihr verboten, aus dem Wagen zu steigen, aber sie hatte sich frech darüber hinweggesetzt –, und war von dem Haus so beeindruckt, dass sie mich in arge Verlegenheit gebracht hatte. So einen Vorfall würde es nicht noch einmal geben.
    »In Ordnung, ich komme nicht mit«, sagte sie. »Aber ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
    »Was denn?«
    »Dass du mit mir zu dem Laddz-Comeback-Konzert gehst.«
    »Bist du des Wahnsinns?«
    » Ich , des Wahnsinns? Du hast es gerade nötig, du mit deinem Gerede von Geiern.«

2
    E in umgewandeltes, für Zwerge geeignetes ehemaliges Arbeiterhaus ist ja schön und gut, nur dass es da meistens keine praktische Tiefgarage gibt. Ich brauchte länger, bis ich einen Parkplatz fand, als ich für die drei Kilometer zu Arties Haus gebraucht hatte. Schließlich zwängte ich meinen Fiat 500 (schwarz mit weißer Innenausstattung) zwischen zwei enorme SUVs und öffnete die Tür zu der verglasten Kokon-Welt. Ich hatte einen eigenen Schlüssel – erst sechs Wochen zuvor hatten Artie und ich einen feierlichen Schlüsseltausch vorgenommen. Er gab mir einen Schlüssel zu seinem Haus, und ich gab ihm einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Denn damals hatte ich noch eine Wohnung.
    Von dem hellen Licht des Juniabends geblendet, folgte ich den Stimmen durch das Haus und die magische, schwebende Treppe hinunter zu der holzgetäfelten Veranda, wo eine Gruppe gut aussehender blonder Menschen versammelt war, die ein Puzzle zusammensetzten. Artie, mein attraktiver Wikinger Artie. Und Iona, Bruno und Bella, seine hübschen Kinder. Und Vonnie, seine hübsche Exfrau. Sie saß neben Artie auf den Holzbohlen, ihre schmale gebräunte Schulter rieb sich an seiner großen, kräftigen. Ich hatte nicht damit gerechnet, sie zu sehen, aber sie wohnte ganz in der Nähe und kam oft vorbei, meistens zusammen mit ihrem neuen Freund Steffan.
    Sie bemerkte mich als Erste. »Helen!«, rief sie mit großer Herzlichkeit.
    Ein Begrüßungschor empfing mich, strahlende Gesichter wandten sich mir zu, Arme streckten sich mir entgegen, und ich wurde von allen geküsst. Eine herzenswarme Fami lie, diese Devlins. Nur Bruno hielt sich zurück, und er brauch te gar nicht zu glauben, dass mir das nicht aufgefallen war. Im Kopf führte ich eine Liste der vielen, vielen Male, die er mich schroff behandelt hatte. Mir entging nichts. Wir alle haben unsere Begabungen.
    Bella, die von Kopf bis Fuß in Rosa gekleidet war und nach Kirschkaugummi roch, war ganz aus dem Häuschen, als sie mich sah. »Helen, Helen.« Sie warf sich mir in die Arme. »Dad hat gar nicht gesagt, dass du kommst. Kann ich dir die Haare kämmen?«
    »Bella, lass Helen doch erst mal Luft holen«, sagte Artie.
    Bella war neun und von liebendem Naturell, und damit war sie das jüngste und schwächste Mitglied in der Gruppe. Dennoch wäre es dumm, sie zurückzuweisen, aber zunächst musste ich mich um ein paar Dinge kümmern. Ich sah zu der Stelle, wo Vonnies Oberarm den von Artie berührte. »Rück zur Seite«, sagte ich. »Du bist zu nah an ihm dran.«
    »Sie ist seine Frau.« Brunos mädchenhafte Wangen leuch teten empört … oder hatte er Rouge aufgetragen?
    »Exfrau«, sagte ich. »Und ich bin seine Freundin. Er ge hört mir.« Dann machte ich schnell »Hahaha«, aber das war nicht aufrichtig. (Doch sollte mich jemand kritisieren, dass ich egoistisch oder unreif war, und mich vorwurfsvoll fragen: »Was ist denn mit dem armen Bruno?«, dann konnte ich jederzeit sagen: »Meine Güte, das war ein Witz . Er wird doch wohl einen Witz verstehen.«)
    »Ehrlich gesagt, Artie hat sich an mich gelehnt«, sagte Vonnie.
    »Das stimmt nicht.« Heute ging mir dieses Spiel, das ich jedes Mal mit Vonnie spielen musste, auf die Nerven. Ich fand kaum die Worte für eine Fortsetzung dieses Getues. »Du machst das dauernd. Hör endlich auf damit. Er ist verrückt nach mir.«
    »Ach, recht
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