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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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drehte sich und begann wieder auf dem Bett umherzukriechen. Er hob die Decke an, um nachzusehen, ob sie wieder ins Bett gemacht hatte. Nein, aber dennoch drehte und wand sie sich weiter. Er hielt ihren Magenschlauch hoch wie eine Brautschleppe, damit sie durch ihre Bewegungen nicht daran zerrte. Sie kroch in Richtung Fußende, dann wieder herum. »Margaret, möchtest du Wasser?«, fragte er. Keine Antwort. »Margaret, möchtest du zur Toilette?« Keine Antwort. »Mugsie, bist du wach? Kannst du mich hören?« Sie stöhnte und brabbelte vor sich hin, aber nicht als Antwort auf seine Frage. In seiner Verzweiflung rief er beim Hospizservice an. Nachdem er dem Service seine Nummer gegeben hatte, behielt er, während er auf Ambinders Rückruf wartete, das Telefon in der Hand und verfolgte die Bewegungen seiner Frau auf dem Bett. Selbst in dieser Choreographie war Margaret noch voller Energie, kämpfte sie gegen das Elend, das ihr Leben jetzt war.
    Ambinder klang wie jemand, der den Kopf über Wasser zu halten versuchte. Enrique beschrieb nüchtern die Abfolge der Geschehnisse. »Kein Fieber?«, fragte der Arzt.
    »Sie ist nicht heiß. Ich glaube nicht, dass sie Fieber hat. Jedenfalls kann ich sie nicht lange ruhig halten, um –« Wie zur Demonstration musste Enrique sich unterbrechen und Margaret festhalten, die Kopf und Schultern über die linke Bettkante schob und hinauszufallen drohte. »Sie scheint zu delirieren«, gab er zu.
    »Ja«, stimmte ihm Ambinder zu und schien nicht recht weiterzuwissen. »Also …«
    Enrique konnte nicht warten. »Soll ich ihr Ativan geben?«
    »Mit Thorazin möchten Sie es nicht probieren?« Ambinder unterdrückte ein Gähnen.
    »Nein«, sagte Enrique entschieden. »Wenn das Ativan nicht hilft, gebe ich Thorazin, aber zuerst will ich’s mit Ativan versuchen.«
    »Okay.«
    »Wenn ich es ihr mit der Infusionspumpe gebe, ist sie endgültig ausgeknockt, oder? Dann kommt sie nicht mehr zu Bewusstsein?«
    Ambinder klang jetzt wacher. »Nein, sie hat’s hinter sich. Sie kriegt nichts mehr mit.«
    Sie hat’s hinter sich . Diese Worte hallten in Enriques Kopf wieder, während er die Pumpe bereitmachte, die eine stete Dosis Ativan verabreichen würde, genug, um einen gesunden Menschen im Dämmerschlaf zu halten. Er nahm die Pumpe, die so groß und so schwer war wie ein tragbares Kassettengerät, mit zum Bett und setzte sich auf die Matratzenkante. Margaret saß jetzt, die Augen geschlossen, den Kopf zu ihm gedreht. »Margaret?«, sagte er in ihr so untypisch leeres Gesicht. »Margaret, ich gebe dir jetzt Ativan über die Pumpe. Darüber haben wir ja geredet, okay? Wenn ich dir das jetzt gebe, wirst du vollständig sediert. Du wirst nicht mehr sprechen können und vielleicht nicht mehr verstehen, was ich sage. Also ist das jetzt unser letztes Ge–« Er brach mitten im Wort ab. »Das letzte Mal, dass wir miteinander reden«, brachte er heraus. »Ich liebe dich«, sagte er. Seine sandigen Augen füllten sich jetzt mit Tränen. Er würde laut aufschluchzen, wenn er noch ein Wort zu sagen versuchte. Er holte tief Luft. Margaret hatte sich nicht gerührt. Ihr Kopf war ihm zugewandt, aber er glaubte nicht, dass sie ihn hören konnte. Sie sah und hörte eine andere Welt. Ihre Hand tastete ins Leere, wollte nach etwas greifen, das nicht da war. Als er ihre Hand nehmen wollte, berührte sieseine Finger nur ganz kurz und tastete dann an seiner Hand vorbei weiter, als ob seine Gegenwart und seine Berührung sie nur von ihrem eigentlichen Ziel ablenkten. »Ich weiß nicht, ob du mich hörst, Mugs, aber ich möchte dir sagen, dass du mein Leben wirklich zu einem Leben gemacht hat. Ich weiß, als ich jung war und wenn ich wütend oder mies gelaunt war, habe ich Sachen gesagt, die dich verletzt haben. Aber die Wahrheit ist, dass ihr, du und die Jungen, das Beste in meinem Leben seid und dass ihr es erst lebenswert gemacht habt.« Das ist fürchterlich, dachte er. Leere Worte ohne jedes Gefühl. Bizarr angesichts der Tatsache, dass er noch nie so viel empfunden hatte wie jetzt. Er konnte sich doch nicht ausdrücken. Das ganze lebenslange Streben nach sprachlichem Ausdruck, die Suche nach der Sprache seines Herzens, erwies sich als gescheitert, denn wenn es wirklich darauf ankam, fiel ihm offensichtlich nichts ein. »Das war’s«, sagte er gedemütigt. »Danke. Danke für alles, was du mir geschenkt hast.«
    Er wollte sich einreden, dass sie ihn gehört hatte, aber sie sank langsam auf ihre rechte Körperseite
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