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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
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verstorben. Ein ebenso einflussreicher wie verschlossener Bankier. Ernest Blot, geboren 1939, ist in der Nacht auf den 23. Juni im Alter von dreiundsiebzig Jahren von uns gegangen. Mit ihm verschwindet eine jener Persönlichkeiten der französischen Hochfinanz, die ursprünglich aus dem öffentlichen Dienst kommen und deren Geschick im Umgang mit Menschen nur noch von ihrer Diskretion erreicht wird. Nach dem Abschluss 1965 als Bester seines Jahrgangs an der École Nationale d’Administration«, siehst du, als Bester, das hatte ich ganz vergessen, »geht er zur General­inspektion für Finanzen. Zwischen 1969 und 1978 gehört er zum persönlichen Mitarbeiterstab mehrerer Minister, ist Fachberater ...« und so weiter, das kennen wir alles ... »1979 geht er zur Wurmster-Bank, die gleich nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde und etwas veraltet war, er wird ihr Generaldirektor und dann, 1985, ihr Präsident und Generaldirektor. Schritt für Schritt verwandelt er sie in eines der führenden Finanzinstitute Frankreichs neben Frères Lazard und Rothschild und Co.« ... und so weiter ... »Er ist Autor einer Biografie von Achille Fould, dem Finanzminister der II . Republik (Éditions Perrin, 1997). Ernest Blot war Groß­offizier des nationalen Verdienstordens und Kommandeur der Ehrenlegion ...« Kein einziges Wort über seine Frau. Ist das normal ? Den Achille Fould hab ich nie aufgeschlagen. Davon hat er drei Exemplare verkauft. Mir wurde beim Lesen übel. Meine Mutter sagt, man erstickt ja in diesem Wagen, magst du die Klimaanlage hochdrehen, mein Schatz ? – Keine Klimaanlage, schreit Jeannette, keine Klimaanlage, das macht mir einen dicken Kopf. Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel. Meine Mutter hat sich darauf eingestellt, der Witwe des Tages nicht zu widersprechen. Sie hat lediglich den Kopf nach hinten gekippt und den Mund aufgeklappt wie ein Karpfen. Jeannette holt einen Taschenventilator mit transparenten Flügeln aus ihrer Handtasche. – Hier, Zozo, das erfrischt. Sie schaltet ihn ein. Er klingt wie eine wild gewordene Wespe. Sie beschreibt zwei Kreise um ihr Gesicht und hält ihn dann meiner Mutter hin. – Nicht nötig, japst meine Mutter. – Versuchen Sie mal, Zozo, ganz bestimmt. – Nein danke. – Nimm ihn doch, Maman, dir ist heiß. – Es geht mir sehr gut, lass mich in Frieden. Jeannette gönnt sich noch einen Hauch Ventilator links und rechts am Hals. Und meine Mutter sagt mit Grabesstimme direkt hinter meinem Ohr, ich bin deinem Vater immer noch böse, dass er diese jämmerliche Grabstätte nicht wieder verkauft hat. Wenn ich sterbe, Robert, lass uns umbetten. Leg uns in die Stadt. Paulette hat mir gesagt, es gäbe noch Grabstätten im jüdischen Teil von Montparnasse. Der Mercedes biegt links ein, beschreibt einen majestätischen Kreis und lässt flüchtig die stummen Profile von Odile und Marguerite erkennen. Jeannette sagt, ich empfinde überhaupt nichts. Sie wirkt verloren. Die Arme hängen am Körper herab, die offene Handtasche steht auf ihren Knien, der Ventilator summt in ihrer reglosen Hand. Ich weiß, ich müsste ihr antworten, einen Kommentar abgeben, aber mir fällt nichts ein. Ernest hatte einen wichtigen Platz in meinem Leben. Er interessierte sich für meine Arbeit (ich las ihm bestimmte Artikel vor, bevor ich sie an die Zeitung schickte), fragte nach, polemisierte, so wie ich es mir von meinem Vater gewünscht hätte (mein Vater war wohlwollend und liebevoll, aber er verstand sich nicht darauf, der Vater eines erwachsenen Mannes zu sein). Wir riefen uns fast jeden Morgen an, um Syrien abzuwickeln oder den Iran, die Naivität des Westens und die Anmaßung Europas zu kritisieren. Das war sein Steckenpferd. Die Tatsache, dass wir nach tausend Jahren Massakern in die Kategorie der Besserwisser gewechselt waren. Ich habe einen Freund verloren, der über eine Vision vom Dasein verfügte. Das ist ziemlich rar. Die Leute haben keine Vision vom Dasein. Sie haben nur Meinungen. Immer wenn ich mit Ernest redete, fühlte ich mich weniger einsam. Ich weiß, dass es für Jeannette bestimmt nicht jeden Tag lustig war. Einmal (er wollte zu einer Währungskonferenz aufbrechen) schüttete sie ihm eine Tasse Kaffee ins Gesicht. Du bist ein niederträchtiger Mensch, du hast mir mein Leben als Frau verpfuscht. Ernest hatte sie gefragt, während er seine Jacke abtupfte, dein Leben als Frau ? Was ist das, ein Leben als Frau ? Als ich Odile kennenlernte, sagte er zu mir, ich warne dich,
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