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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
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verstreichen. Wir leben in der Illusion der Wiederholung, wie der Tag, der beginnt und wieder endet. Wir beginnen und beenden den Tag und glauben, dieselbe Geste zu wiederholen, aber das stimmt nicht. Marguerite ähnelt ihrem Bruder nicht. Sie ist freundlich, sie hat Skrupel. Sie sagt, Jeannette, willst du es immer noch mit dem Fahren probieren ? Ich sage, soll ich ? Meinst du nicht, das wäre Wahnsinn ? Wir müssen lachen. Plötzlich sind wir ganz aufgeregt. Ich habe seit dreißig Jahren kein Steuer mehr angefasst. Marguerite sagt, wir suchen uns einfach eine Stelle im Bois de Boulogne, wo nicht allzu viel los ist. – Einverstanden. Einverstanden. Wir suchen ihr Auto. Marguerite hat vergessen, wo sie es geparkt hat, und ich habe sogar vergessen, was für ein Auto es war. Ich schlage ihr zwei oder drei vor, bevor wir das richtige finden. Sie dreht den Zündschlüssel und startet. Ich beobachte, was sie tut. – Hast du deinen Führerschein dabei ?, fragt sie. – Ja. Meinst du, der ist noch gültig ? Die gibt es doch gar nicht mehr, diese Führerscheine. Marguerite wirft einen Blick darauf und sagt, ich habe den gleichen. – Was für ein Auto hast du eigentlich ? – Einen Peugeot 207 Automatik. – Automatik ! Ich kann nicht mit Automatik fahren ! – Das ist ganz einfach. Viel einfacher als mit Gangschaltung. Man braucht überhaupt nichts zu tun. – Oje. Einen mit Automatik ! Marguerite sagt, du erzählst aber Odile nichts, versprochen ? Ich will mich nicht von deiner Tochter zusammenstauchen lassen. – Kein Wort. Sie geht mir auf die Nerven, dieses Überbehütende. Ich bin doch nicht aus Zucker. Auf der Suche nach einer ruhigen Ecke kurven wir ein bisschen durch den Bois. Schließlich machen wir eine kleine Allee ausfindig, die an einer fünf Meter breiten weißen Schranke endet. Marguerite parkt. Sie stellt den Motor ab. Wir steigen beide aus, um die Plätze zu wechseln. Wir lachen ein bisschen. Ich sage, ich kann gar nichts mehr, Marguerite. Sie sagt, du hast zwei Pedale. Die Bremse und das Gaspedal. Du bedienst beide mit demselben Fuß. Dein linker Fuß hat gar nichts zu tun. – Lass den Wagen an. Ich lasse den Wagen an. Der Motor schnurrt. Ich drehe mich zu Marguerite, ganz begeistert, dass ich den Wagen so leicht anlassen konnte. – Sehr gut, sagt Marguerite mit ihrem Lehrerinnenton (sie unterrichtet Spanisch). – Du hast ihn anlassen können, weil du auf P warst, also auf Parking . Schnall dich an. – Soll ich ? – Ja, ja. Marguerite beugt sich vor und klickt den Gurt ein, der mich gleich abschnürt. Ich sage, ich fühle mich gefangen. – Da gewöhnst du dich dran. Jetzt schaltest du den Hebel auf D, also auf Drive , dann kannst du fahren. Wo ist dein rechter Fuß ? – Nirgendwo. – Stell ihn auf die Bremse. – Warum ? – Weil du ihn, wenn du D eingestellt hast, nur loszulassen brauchst, und dann fährt das Auto los. – Soll ich ? – Ja. – So. – Jetzt schalte auf D. Ich hole Luft und schalte auf D. Nichts passiert. Lass den Fuß vorsichtig los, sagt Marguerite. Nur zu, nur zu, lass ihn ganz los. Ich lasse ihn ganz los. Ich bin äußerst angespannt. Das Auto fährt an. Ich rufe, es fährt an ! – Jetzt stellst du deinen Fuß aufs Gaspedal. – Wo ist das ? – Direkt neben der Bremse, direkt daneben. Mein Fuß tastet, ich spüre ein Pedal, ich trete drauf. Das Auto stoppt brüsk, und wir werden nach vorn geschleudert. Der Gurt schneidet mir in die Brust. – Was ist da los ? – Du hast dich wieder auf die Bremse gestellt, sagt Marguerite. Wir haben ihn abgewürgt. Noch mal von vorn. Schalte auf P. Anlassen. Bravo. Jetzt schalte auf N. – Was ist N ? – Neutral. Das ist der Leerlauf. – Ah, der Leerlauf ! Ja, ja. – Noch mal von vorn. Bremse. Drive. Lass deinen linken Fuß still, der hat nichts zu tun. – Ich kann nicht mit Automatik fahren ! – Aber bald. So. Auf D schalten und loslassen. Bravo. Jetzt schiebst du deinen Fuß ein wenig nach rechts, da ist das Gaspedal, da drückst du drauf. Ich konzentriere mich. Der Wagen rollt. Ich halte den Atem an. Die Schranke ist noch weit, aber ich steuere darauf zu, ohne jegliche Kontrolle. Panik. – Wie bremse ich ? Wie halte ich an ? – Du bremst. – Ich bleibe auf ... auf ... Wie heißt das ? – Ja, du bleibst auf D. Und wenn der Wagen anhält, schaltest du wieder auf N. Auf N, nicht auf R ! R ist der Rückwärtsgang. Nicht den linken Fuß benutzen ! Du trittst gerade auf beide Pedale
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