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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug
Autoren: Anne-Gine Goemans
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gespuckt.
    Dolly sollte versprechen, freundlicher zu werden. Es wurde totenstill im Zimmer, so wütend sah sie aus, aber sie gab das verlangte Versprechen und spuckte wie eine Pfadfinderin zwischen den Fingern hindurch. Dann fing sie an zu weinen. Gieles hatte nicht gewusst, dass sie das überhaupt konnte. Sie weinte mit opernhaften Schluchzern.
    Meike hätte er gern versprechen lassen, dass sie nie mehrwegging, aber das wagte er nicht. Und von seinen Eltern hätte er gern verlangt, dass sie heirateten, doch auch das tat er nicht. Er hatte so eine Ahnung, dass zwischen ihnen noch alles gut werden würde. Der tote spanische Arzt war jedenfalls keine Bedrohung mehr.
    Es war der schlimmste Tag in seinem Leben, und gleichzeitig der schönste. Eine Art Weihnachten im Sommer. Onkel Fred ließ Musik laufen, und ein paar Flaschen wurden entkorkt. Toon senior und Liedje kamen, um auf Ellens Heimkehr anzustoßen. Von dem Beinaheunfall mit den Gänsen hatten sie nichts mitbekommen.
    Zum ersten Mal seit dem Bau der Startbahn saßen die verbliebenen Anwohner wieder zusammen. Außer Toon. Von dem alten Wohngebiet war zwar beinahe nichts mehr übrig, trotzdem bildeten sie noch eine Art Gemeinschaft. Willem hatte den Arm um Ellen gelegt, er streichelte sanft über den Verband. Toon senior sagte, mit dem Fleck auf dem Kopf sehe Waling wie Gorbatschow aus. Dann kramte er einen Witz über einen betrunkenen Russen, einen Schlagzeuger und einen Terroristen aus. Niemand außer ihm selbst und Waling konnte darüber lachen.
    Waling erzählte die Geschichte des Pumpwerkgemäldes, das Meike auf den Kaminsims gestellt hatte. Als die Erwachsenen gerade mitten in einer lebhaften Unterhaltung waren, nahm Meike Gieles’ Hand und zog ihn aus dem Zimmer.
    »Zum Einkaufszentrum«, sagte sie.
    »Okay«, antwortete er und holte sein Fahrrad. Zum ersten Mal fühlte er sich in ihrer Gegenwart weder unsicher, noch war er von lüsternen Vorstellungen beherrscht. Es überwog ein Gefühl von … ja, von was eigentlich? Es war etwas Größeres als Glück. Das Gefühl, das er früher nach einem Tag am Strand gehabt hatte. Wohlig müde auf dem Gepäckträger seiner Mutter, mit Eisflecken auf der kurzen Hose, Sand im Gesicht. Nebenihnen fuhr sein Vater, und auf seinem Gepäckträger war mit Spanngurten die Strandtasche befestigt, aus der ein kleiner Kescher herausschaute. Eisflecken und ein Bett voller Sandkörner: So fühlte es sich an.
    Sie sprachen kein Wort, aber das Schweigen war nicht bedrückend. Meike hatte seine Taille umfasst und schmiegte wie beim letzten Mal das Gesicht an seinen Rücken.
    Ihre helle Stimme lotste ihn in eine Nebenstraße. »Hier ist es«, sagte sie. »Nummer 38.«
    Das Haus sah verlassen aus, aber sie klopfte selbstsicher ans Fenster, als würde sie erwartet. Der dunkle Vorhang wurde ein kleines Stück zur Seite gezogen. Gieles sah nur eine Hand. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet.
    Sie betraten einen schwach erleuchteten Friseursalon. Der Mann, der ihnen geöffnet hatte, sagte zu Meike: »Ich werd verrückt. Fast hätt ich dich nicht erkannt.«
    Auf seiner Nase saß ein unförmiges schwarzes Gestell, wie es sonst nur 3D-Brillen hatten. Er war noch jung, aber diese Brille und seine üppigen Locken machten ihn älter.
    »Kurz und blond steht dir gut«, sagte er.
    Ein Kollege von Dolly. Er ist schwul. Natürlich ist er schwul; er ist Friseur, und außerdem trägt er eine Latzhose ohne was drunter. In der Vortasche steckt bestimmt seine Schere.
    »Das ist also der Freund, von dem du am Telefon gesprochen hast.« Der Mann drückte Gieles kräftig die Hand und stellte sich als Lazy Lex vor.
    Ein Schwulenname .
    »Gieles«, sagte Lazy Lex mit gespieltem Misstrauen, »ich hab so meine Zweifel, was dein Alter angeht.«
    »Er ist wirklich sechzehn«, antwortete Meike schnell.
    »Aber«, verkündete Lazy Lex und schaltete eine Lampe neben einem der Stühle an, »dem Mädel, das den Scheißköter von meinem Alten zähmen kann, schlag ich lieber nichts ab.«
    Gieles schaute sich um und stellte fest, dass er nicht in einem Friseursalon, sondern in einem Tattooshop stand. Der Ort hatte nichts Furchterregendes. Trotzdem betrachtete er die Farbfotos von frisch tätowierten Gliedmaßen mit wenig Begeisterung. Rings um die Anker, Schwalben, Würfel und gebrochenen Herzen war die Haut grellrot.
    »Ich bin Old School«, erklärte Lazy Lex, der Gieles’ Blicken gefolgt war. »Also, wenn du ein Arschgeweih willst, bist du bei mir falsch.«
    Er
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