Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gleichbleibend Schoen

Gleichbleibend Schoen

Titel: Gleichbleibend Schoen
Autoren: Helen Hodgman
Vom Netzwerk:
mehr öffnen. Ben kletterte übers Bett und verschwand. Sein Kopf tauchte auf der anderen Seite wieder auf. » Ich hab was Neues, was wir heute ausprobieren könnten. Nette kleine Nummer aus einem Heilsarmeeladen in Nord-Hobart.« Er verschwand wieder.
    Ich ging zur alten Truhe in der Zimmerecke und durchwühlte sie nach etwas Interessantem.
    Die Truhe war Glorias ganzer Stolz, ein Familienerbstück, das sie völlig unverhältnismäßig liebte. Schließlich war nur ein Haufen alter Klamotten drin. Früher habe sie neben alten Kleidern noch ein paar antike Rubingläser enthalten, eine Bibel und das Familiensilber, hatte Gloria mir erzählt. Die Wertsachen hatte ihre Mutter schon vor Jahren verkauft, doch Gloria war das egal. Ihr gefielen die Kleider ohnehin am besten. Sie liebte es, romantische Geschichten über sie zu erzählen: wie ihre Urgroßmutter die Truhe damals, zur Zeit der großen Segelschiffe, aus der alten Heimat mitgeschleppt hatte. Randvoll gefüllt mit ihren besten Sachen sei sie gewesen, mit Ballen von Seide, Samt und Spitze und mehreren Paaren zierlicher weißer Damenhandschuhe, von denen die alte Dame angenommen hatte, dass sie in den Antipoden schwer zu bekommen waren.
    Gloria legte die Truhe regelmäßig mit Mottenkugeln aus und klagte über den Schaden, den die Silberfischchen anrichteten. Eines Tages hatten Ben und ich angefangen, mit den Sachen herumzualbern; Verkleidungsspiele, die in letzter Zeit ein wenig außer Kontrolle geraten waren. Ben hatte, wie mir schien, ein ungesundes Interesse an den alten Klamotten entwickelt.
    » Hier, probier das mal an«, befahl er von hinter seinem Bett. Seine jüngsten Errungenschaften flogen durch die Luft und landeten zerknittert vor meinen Füßen.
    Ben stand auf, klopfte sich den Staub aus den Kleidern und schob das Bett zurück an die Wand, sodass die losen Bodendielen nicht mehr zu sehen waren. Er bewahrte seine Secondhandkleider in Plastiktüten auf, die er in dem Hohlraum zwischen Bodendielen und Fundament versteckte: seine fantastischen Kostüme, die er wegen ihrer Farbe, dem Stoff und der Art, wie sie sich auf der Haut anfühlten, ausgesucht hatte.
    Mit voll beladenen Armen gingen wir in seinen Arbeitsraum, einer verglasten Veranda, die sich über zwei Seiten des Hauses erstreckte. Mitten im Zimmer schichteten wir einen weichen, wackligen Berg aus kunterbunten Kleidungsstücken auf.
    Allein in der Stille mit einem Haufen schöner Dinge. Stille, in die uns das zähflüssige Sonnenlicht tauchte. Es umgab uns wie dicke goldene Watte, ließ weder Luft noch Laute herein, isolierte und versteckte uns. Zu träge, um das Glas zu durchdringen, legte es sich rund ums Haus. Wir spielten in einer goldenen Kugel.
    Wir spielten mit dem hübschen Berg und suchten die Stoffe und Kleider für unsere Scharaden aus. Wie das viktorianische Gesellschaftsspiel: Man nimmt einen Begriff, stellt jede einzelne Silbe dar und zum Schluss das ganze Wort. Wir wechselten uns ab: Soloauftritte. Manchmal war es sehr komisch, und wir lachten viel. Manchmal war es sehr traurig, und wir brachten uns zum Weinen. Mitunter ließen wir uns zu beängstigenden Fantasien hinreißen. Er verdrehte mir den Arm, zwirbelte meine Haut, peitschte mich mit einem in New York erstandenen Plastikgürtel, rieb mir mit erlesenen Stoffen zwischen den Beinen, fotografierte meine Reaktionen, stolzierte in Cowboystiefeln von The Chelsea Cobbler herum – Souvenirs aus der Kings Road – und masturbierte in einen rosa-verblichenen viktorianischen Stoffrest. Bunte Zeiten. Heiße Tage. Zum Schluss schliefen wir beide unter Stoffbergen begraben ein.
    Ben wachte zuerst auf. Er machte Tee, hielt mir die dampfende Tasse unter die Nase und brachte mich mit Schokoladenkeksen wieder zu Bewusstsein. Er sagte, ich schliefe wie eine tote Fliege – auf dem Rücken, Arme und Beine weit von mir gestreckt. In der Werkstatt gab es viele tote Fliegen. Sie lagen in trockenen schwarzen Linien auf den Fenstersimsen. Wenn eine Brise sie bewegte, raschelten sie wie liegen gebliebener Weihnachtsschmuck.
    *
    Alles war weggeräumt, die Ordnung wiederhergestellt. Gewaschen, angezogen und gekämmt saßen wir plaudernd beim Tee, bis seine Frau und sein Sohn heimkamen. Da wir nicht viel zu reden hatten, sprachen wir vor allem über meine Nachbarin. Ich gab ihm unsere kurzen Unterhaltungen wieder. Er fand sie kryptisch.
    Ben wollte meine Nachbarin kennenlernen. Ich sagte ihm, das sei unmöglich, weil sie bei seinem Anblick vor Schreck tot
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher