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Glashaus

Titel: Glashaus
Autoren: Charles Stross
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sein, ein Back-up von mir anzulegen? Ich beuge mein rechtes Bein. Der Assembler hat gute Arbeit geleistet und es in der ursprünglichen Form wieder hinbekommen; der neu gebildete Muskel funktioniert ausgezeichnet. Ich beschließe, Gwyn aus dem Weg zu gehen, zumindest so lange, bis sie in weniger blutrünstiger Stimmung ist - was dauern kann, falls sie weiter Kämpfe mit Leuten ausfechten will, die ihr überlegen sind. Gleich darauf kehre ich an meinen Tisch zurück.
    Kay ist immer noch da, wie seltsam. Ich hatte eigentlich gar nicht mehr mit ihr gerechnet. (A-Tore arbeiten zwar schnell, aber es dauert trotzdem mindestens rund tausend Sekunden, einen menschlichen Körper auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen; schließlich muss man dabei mit jeder Menge Bits und Atomen herumjonglieren.)
    Ich lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Kay hat mir tatsächlich noch einen Drink bestellt. »Die Sache tut mir leid«, sage ich automatisch.
    »In dieser Umgebung gewöhnt man sich daran«, erwidert sie mit philosophischer Gelassenheit. »Fühlst du dich jetzt besser?«
    »Weißt du …« Ich halte inne, denn einen Moment lang befinde ich mich wieder in diesem staubigen, von Betonbrocken übersäten Ödland und spüre im Bein einen brennenden Schmerz, während mich der pure Hass zum Schlag gegen Gwyns Kopf treibt. »Es ist vorbei«, sage ich und starre auf das Glas, greife schließlich danach und leere es in einem Zug bis zur Hälfte.
    »Was ist vorbei?« Ich ertappe Kay dabei, wie sie mich beobachtet. »Falls es dir nichts ausmacht, darüber zu reden«, fügt sie hastig hinzu.
    Sie ist zwar verängstigt, aber voller Anteilnahme, wie mir plötzlich auffällt. Mein Bewährungshelfer, der Ring, strahlt mehrmals Wärme aus. »Nein, macht mir nichts aus.« Ich bringe ein - vermutlich leicht müdes - Lächeln zustande und stelle das Glas ab. »Ich schätze, ich bin immer noch in der dissoziativen Phase. Ehe ich heute Abend ausgegangen bin, hab ich ganz allein in meinem Zimmer herumgesessen und mit einem Skalpell hübsche Linien in beide Arme geritzt. Und darüber nachgedacht, ob ich mir die Pulsadern aufschneiden und allem ein Ende machen soll. Ich war wütend. Wütend auf mich selbst. Aber das ist jetzt vorbei.«
    »So was kommt sehr häufig vor.« Ihr Ton ist vorsichtig. »Was hat bei dir die Änderung bewirkt?«
    Ich runzle die Stirn. Dass meine Reaktion ein normaler Nebeneffekt der Wiedereingliederung ist, hilft mir auch nicht weiter. »Ich habe mich wie ein Blödmann verhalten. Sobald ich heimgehe, muss ich ein Back-up anlegen.«
    »Ein Back-up?« Sie macht große Augen. »Du bist hier den ganzen Abend mit Schwertgürtel und Schwert herumspaziert und verfügst nicht mal über ein Back-up ?« Ihre Stimme wird schrill. »Was hast du denn vor ?«
    »Wenn man weiß, dass man auf ein Back-up von sich zurückgreifen kann, wird die Klinge stumpf. Außerdem war ich wütend auf mich selbst.« Als ich sie ansehe, glätten sich meine Stirnfalten. »Aber man kann ja nicht ewig wütend sein.«
    In Wirklichkeit ist es eher so, dass ich ein grässliches, dumpfes Angstgefühl mit mir herumschleppe. Ich fürchte mich davor, am Ende noch herauszufinden, wer ich bin oder früher einmal war. Was bedeutet es, die Gefühle anderer Menschen plötzlich wieder nachempfinden zu können, wenn man eben erst einen von ihnen mit dem Schwert durchbohrt hat? Im Mittelalter wäre Gwyns Tod eine Tragödie gewesen. Und selbst hier ist das Sterben eine Sache, die die meisten Menschen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Einen Moment lang spüre ich den unangenehmen Drang, hinauszurennen und Gwyn zu suchen, um mich bei ihr zu entschuldigen. Aber das ist natürlich Unsinn, denn sie wird sich gar nicht an diesen Tod erinnern können, sondern sich geistig im selben Zustand wie zuvor befinden. Vermutlich würde sie mich nur zu einem weiteren Duell herausfordern und mich auf der Stelle in Hackfleisch verwandeln, da sie immer noch diese unsinnige Wut in sich trägt.
    »Ich glaube, ich habe jetzt wieder Verbindung zur Realität«, sage ich langsam. »Kennst du einen Ort, der nicht so gefährlich ist wie diese Bar? Wo man nicht so leicht die Aufmerksamkeit von Amokläufern auf sich zieht?«
    »Hm.« Sie mustert mich kritisch. »Wenn du das Schwert und den Gürtel ablegst, fällst du nicht weiter auf und kannst zu einem der Plätze gleich um die Ecke mitkommen. Die sind für Leute in der zweiten Phase der Genesung vorgesehen. Ich weiß, wo man echt gute altmodische
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