Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Glashaus

Titel: Glashaus
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
des Lederschurzes und der Hanfsandalen. »Ich habe stark ausgeprägte Vorstellungen, was mein Äußeres betrifft, und wollte sie in Wirklichkeit auch gar nicht aufgeben. Es sind zu viele Assoziationen damit verbunden. Übrigens sind das hübsche Schrumpfköpfe.«
    Kay lächelt. »Danke. Und ich danke dir auch dafür, dass du nicht nachgefragt hast.«
    »Nachgefragt?«
    »Mir nicht die übliche Frage gestellt hast: Warum siehst du so, nun ja …«
    Erst jetzt greife ich nach meinem Glas und trinke einen Schluck der ätzend kalten blauen Flüssigkeit. »Du hast gerade die ganze Lebensspanne eines Urzeitmenschen als Eisdämon verbracht, und dann sticheln die Leute, weil du zu viele Arme hast?« Ich schüttle den Kopf. »Ich bin einfach davon ausgegangen, dass du gute Gründe dafür hast.«
    Sie verschränkt abwehrend beide Armpaare. »Ich würde mir wie eine Heuchlerin vorkommen, wenn ich so aussehen würde wie …« Sie blickt über mich hinweg. Es halten sich noch andere Leute in der Bar auf, darunter einige Bushujos und zwei Cyborgs, doch die meisten Anwesenden haben orthohumane Körper. Kay sieht zu einer Frau hinüber, der das lange blonde Haar von einer Kopfseite fällt, während auf der anderen Seite nur Stoppeln sprießen. Sie trägt einen hauchdünnen weißen Umhang und einen Schwertgürtel und kreischt gerade vor Lachen über irgendetwas, das einer ihrer Gefährten gesagt hat - Amokläufer auf der Pirsch nach Mitspielern. »Wie die da, zum Beispiel.«
    »Aber ursprünglich warst du doch auch ein Mensch, oder nicht?«
    »Innen drin bin ich’s immer noch.«
    Endlich fällt der Groschen bei mir: Sie stellt in der Öffentlichkeit nur deshalb ein nicht-menschliches, fremdartiges Aussehen zur Schau, weil sie menschenscheu ist. Als ich zu der Gruppe hinüberschaue, begegnet mein Blick zufällig dem der blonden Frau. Sie sieht mich an, erstarrt und wendet sich sofort demonstrativ ab. »Wie lange gibt’s diese Bar schon?«, frage ich, während meine Ohren rot anlaufen. Was erdreistet die sich?
    »Etwa drei Megs.« Kay deutet mit dem Kinn auf die Gruppe der Orthos am anderen Ende des Raums. »An deiner Stelle würde ich sie lieber nicht so offensichtlich beachten, das sind Duellanten.«
    »Das bin ich auch.« Ich nicke Kay zu. »Ich finde das heilsam.«
    Sie zieht eine Grimasse. »Ich spiel damit nicht herum. Es ist eklig. Außerdem mag ich keinen Schmerz.«
    »Na ja, ich auch nicht«, erwidere ich bedächtig. »Aber darum geht’s dabei auch gar nicht.« In Wirklichkeit geht es darum, dass wir wütend werden, wenn wir uns nicht daran erinnern können, wer wir sind, und anfangs um uns schlagen; deshalb ist ein strukturierter, formeller Rahmen zum Abbau der Aggressionen nötig, der gewährleistet, dass kein anderer verletzt wird.
    »Wo wohnst du?«, fragt Kay, die offensichtlich das Thema wechseln möchte.
    »Immer noch in der Klinik. Ich meine, alles, was ich mal besessen habe … (hab ich auf der Flucht hinter mir gelassen) . Jedenfalls reise ich mit leichtem Gepäck. Ich weiß ja noch immer nicht, was ich in diesem neuen Leben mit mir anfangen will, also hat es meiner Meinung nach wenig Sinn, mich mit viel Gepäck zu belasten.«
    »Möchtest du noch was trinken?«, fragt Kay. »Ich lad dich ein.«
    »Ja, gern.« Als mir klar wird, dass Blondie unseren Tisch ansteuert, schlägt bei mir eine Warnglocke an. Ich tue so, als bemerke ich sie gar nicht, doch im Bauch spüre ich eine altbekannte Wärme, und mein Rücken spannt sich an. Uralte Reflexe übernehmen mitsamt modernen Überlistungsstrategien, die als Codes in mir gespeichert sind, das Kommando, sodass ich verstohlen das Schwert aus der Scheide löse. Ich glaube, ich weiß, was Blondie will, und es ist mir überaus recht, es ihr zu geben. Sie ist hier nicht die Einzige, die zu Anfällen mörderischer Wut neigt - und diese Wut braucht eine Weile, bis sie wieder abkühlt. Mein Berater hat mir empfohlen, mich auf diese Wut einzulassen und ihr nachzugeben, sofern ich sie gegenüber gleichgesinnten Mitpatienten austrage. Angeblich werden sich die Wutanfälle auf diese Weise mit der Zeit legen. Und deshalb bin ich bewaffnet.
    Allerdings sind diese postoperativen Wutanfälle nicht das Einzige, was mich so reizbar macht. Darüber hinaus habe ich mich vor dem Eingriff in mein Langzeitgedächtnis dafür entschieden, meine Lebensuhr zurückstellen zu lassen. Jetzt bin ich wieder ein junger Erwachsener kurz nach der Pubertät, und das bringt ganz eigene, durch hormonelle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher