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Glashaus

Titel: Glashaus
Autoren: Charles Stross
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Gesicht funkelt vor ungezügelter Wut - ein Spiegelbild meines eigenen.
    Dieser Teil der remilitarisierten Zone ist einer zerstörten Stadt auf der alten Erde nachempfunden. Es ist eine von einer atomaren Explosion erschütterte Betonwüste. Seltsame Rankengewächse hüllen die Statuen von Eroberern ein, und überall sind die ausgebrannten Wracks vierrädriger Wagen zu sehen. Wir könnten uns ganz allein hier befinden, gestrandet auf einem Planeten, auf dem ansonsten keine mit Intelligenz begabten Wesen leben. Allein, um unserem Kummer und unserer Wut so lange freien Lauf zu lassen, bis das postoperative Trauma nach und nach schwindet.
    Blondie will sich auf mich stürzen, doch ich ziehe mich vorsichtig zurück, während ich irgendeinen Schwachpunkt in ihrer Angriffsstrategie auszumachen versuche. Sie zieht die Kante der Spitze ihrer Klinge vor und die rechte Seite der linken, doch sie lässt mir keine Lücken, in die ich hineinstoßen könnte. »Mach schon, stirb!«, brüllt sie.
    »Nach dir.« Während ich sie umkreise, führe ich einen Scheinangriff durch und versuche sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Gleich neben dem Tor, durch das wir gekommen sind, ragen die Ruinen eines hohen Gebäudes auf; der Schutthaufen reicht bis über unsere Köpfe. (Jetzt fällt mir auf, dass das Warnlämpchen am Tor rot blinkt. Das bedeutet, dass dieses Tor versperrt bleibt, bis einer von uns tot ist.) Der Schutthaufen bringt mich auf eine Idee. Erneut täusche ich einen Angriff vor, ziehe mich aber gleich darauf zurück und überlasse Blondie eine Eröffnung, die sie auch wahrnimmt.
    Ich kann sie kaum abwehren, denn sie ist schnell. Aber sie ist nicht hinterlistig und hat ganz sicher nicht mit dem Messer in meiner linken Hand gerechnet, das bis jetzt an meinem linken Oberschenkel festgeklebt war. Als sie versucht, sich davor zu schützen, sehe ich meine Chance gekommen und stoße ihr mein Schwert in den Bauch.
    Sie lässt die Waffe fallen und sinkt auf die Knie, während ich mich schwerfällig ihr gegenüber auf den Boden plumpsen lasse, einem Zusammenbruch nahe. Meine Güte, wie hat sie’s nur geschafft, mein Bein zu erwischen? Vielleicht hätte ich meinen Instinkten doch nicht so bedingungslos vertrauen sollen.
    »Erledigt?«, frage ich. Plötzlich ist mir schwindlig.
    »Ich …« Ihr Gesicht nimmt einen seltsamen Ausdruck an, als sie sich am Säbelkorb meines Schwertes festhält. »Äh.« Sie versucht zu schlucken. »Wer …?«
    »Ich bin Robin«, sage ich leichthin, während ich sie fasziniert beobachte. Ich weiß nicht genau, ob ich jemals einen Menschen habe sterben sehen, dem ein Schwert die Eingeweide durchbohrt hat. Überall ist Blut, und es riecht wirklich scheußlich nach durchtrennten Gedärmen. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass sie sich jetzt krümmen und schreien würde, aber vielleicht verfügt sie über ein selbstständig arbeitendes Kontrollprogramm, das solche Reaktionen unterdrückt. Egal. Ich habe genug damit zu tun, mein Bein zusammenzupressen. Ständig quillt Blut zwischen meinen Fingern hervor. Wir sind Leidensgefährten. »Und du bist …?«
    »Gwyn.« Sie schluckt. Der glühende Hass ist verloschen und hat etwas zurückgelassen, das Verwirrung sein mag.
    »Wie lange ist dein letztes Back-up her, Gwyn?«
    Sie kneift die Augen zusammen. »Eine. Stunde.«
    »Na gut. Möchtest du, dass ich die Sache zu Ende bringe?«
    Es dauert einen Moment, bis sie es schafft, ihren Blick auf meinen zu konzentrieren, dann nickt sie. »Wann? Du?«
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht beuge ich mich zu ihr hinüber und greife nach ihrem Schwert. »Wann ich mein letztes Back-up angelegt habe? Ein Back-up nach der Löschung meiner Erinnerungen, nach dem Eingriff, meinst du?«
    Sie nickt, vielleicht zittert sie auch nur. Mit gerunzelter Stirn hebe ich das Schwert und richte die Klinge auf ihren Hals, was mich meine ganze Kraft kostet. »Gute Frage …«
    Ich schneide ihr die Kehle durch, und das Blut spritzt überall hin.
    »Gar nicht.«

    Ich stolpere zum Ausgang - einem A-Tor - und weise es an, mein Bein wiederherzustellen, ehe ich zurück in die Bar befördert werde. Das Tor schaltet mich ab, und nach einer Sekunde subjektiven Zeitgefühls wache ich in der Toilettenzelle im hinteren Teil der Bar wieder auf. Mein Körper ist heil und ganz und so gut wie neu. Vielleicht eine Minute starre ich in den Toilettenspiegel und fühle mich dabei leer, aber seltsamerweise in Frieden mit mir selbst. Vielleicht werde ich bald bereit
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