Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Girlfriend in a Coma

Girlfriend in a Coma

Titel: Girlfriend in a Coma
Autoren: Douglas Coupland
Vom Netzwerk:
Warme, leicht übelriechende Luft, wie die, die ein U-Bahnwaggon vor sich herschiebt,: süß und voller Abenteuer, fegt über uns hinweg. »Und hier stehen wir nun nach all diesen Jahren«, sage ich, »am Ende der Welt und am Ende der Zeit.«
    »Was für eine verdammte Ironie«, sagt Hamilton. »Ach, komm schon, Hamilton«, sage ich, »versuch doch mal, dem Ganzen wenigstens bißchen Dramatik abzugewinnen. Ich meine, ihr alle habt doch gemerkt, wie anders die ›Zeit‹ einem hier in dieser untergegangenen Welt erscheint wie seltsam es ist, ohne Uhren, Jahreszeiten, Rhythmen oder Zeitpläne zu leben. Ihr habt ja recht - Zeit ist eine ganz und gar menschliche Idee - ohne Menschen gibt es keine Zeit. Die Unendlichkeit und Null sind ohne sie ein und dasselbe.«
    »Na toll«, sagt Hamilton.
    »Also, kurz bevor all das passierte«, sage ich und deute auf den hellerleuchteten schwarzen Staub der Vorstadt, »hatte niemand, den wir kannten, auch nur eine Sekunde freie Zeit übrig. Jede Minute wurde damit verplempert, produktiv zu sein, die Karriere voranzutreiben und in jeder Hinsicht effizient zu sein. Jeder Schritt vorwärts, den der ›Fortschritt‹ machte, schuf einen eigenen, immer schneller werdenden Warp-Effekt, der dazu führte, daß euch euer Leben hier auf der Erde noch armseliger, kürzer und verrückter vorkam. Und jetzt ... gibt es gar keine Zeit mehr.“
    »He -«, sagt Wendy. »Was?« frage ich.
    »Nichts. Ich wollte nur Hamilton davon abhalten, irgendeinen zynischen Witz zu reißen.«
    »Schon gut, Wendy«, sage ich. »Es ist schön, an alte Zeiten zurückzudenken und mit alten Freunden zusammenzusein. Ich meine, wir hatten alle wirklich Glück damit, wann und wo wir gelebt haben. Es gab kein Vietnam. Die Kindheit zog sich ewig hin. Benzin, Autos und Kartoffelchips waren billig und reichhaltig vorhanden. Wenn wir in ein Flugzeug steigen wollten, um an irgendeinen Ort auf der Erde zu fliegen, so konnten wir das tun. Wir konnten glauben, woran wir wollten. O Mann - wenn wir wollten, konnten wir sogar in einem San-Diego Chicken-Kostüm den Marine Drive entlanglaufen und dabei einen blutigen Richard-Nixon-Gummikopf in der Hand halten - das wäre völlig in Ordnung gewesen. Und wir sind alle zur Schule gegangen. Und wir waren nicht im Knast. Wow. «
    Die Sterne färben sich plötzlich rosa, als der leichte Dunst einer Chemikalie aus einer längst explodierten Fabrik in Yokohama über uns hinwegzieht.
    »Ich weiß noch, wie ich mit kaum mehr als einem knappen Slip bekleidet durchs Viertel gelaufen bin. Ich weiß noch, wie ich Life las und mir meine eigene Meinung über Politik bilden konnte. Ich weiß noch, wie ich in einem Auto saß, an eine Straßenkarte von Nordamerika dachte und wußte, daß ich, wenn ich wollte, überall hinfahren konnte. All diese Zeit und all diese Muße, diese Freiheit und dieser Überfluß. Er staunlich. Dieser süße und bequeme Kokon der Freiheit, in dem wir alle lebten - das war eine schöne Idee. Es war, auf eine spezielle, unglamouröse Art, das Ziel der gesamten Menschheitsgeschichte: Die Kriege, die Genialität, der Wahnsinn, die Schönheit und das Leid - alles diente dazu, immer weiter entfernte, unvernebelte Punkte zu erreichen, auf die man sich stellen und von denen man immer weiter, weiter und, tja, weiter sehen, denken, sich entwickeln und begreifen konnte. Der Fortschritt ist Realität. Die Bestimmung ist Realität. Ihr seid Realität.« Das Rosa zieht vorbei. »Und das ist der Grund, aus dem wir alle heute abend hier sind, was auch immer heute für ein Tag sein mag: Donnerstag - sechs Wochen in der Zukunft - 1954 - vor drei Tagen eine Million v. Chr. Es kommt alles aufs gleiche raus. Ich meine, ich weiß, daß ihr euch fragt, was denn nun falsch war an der Art, wie ihr euer Leben gelebt habt - was eure Jimmy-Stewart-mäßige Krise war -, und ich weiß, daß ihr euch fragt, warum ihr das vergangene Jahr auf diese Weise verbringen mußtet. Ihr sagt, euer Leben war nicht in der Krise, aber tief in euerm Innern wißt ihr, daß das nicht stimmt. Ich war dort oben und habe .euch gehört.“
    »Du hat uns belauscht?« fragt Megan, stets in Alarmbereitschaft.
    Richard wirft ein: »Laß gut sein, Megan, okay?« Das Wasser hinter dem Damm ist von einem leuchtenden Neongrün. Es sieht elektrisch geladen aus. Radioaktiv. »Tja, da lebten wir nun also alle am äußersten Rand jenes entlegensten Punktes. Die Menschen anderswo - Menschen, die nicht so behütet und abgekapselt lebten wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher