Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Girlfriend in a Coma

Girlfriend in a Coma

Titel: Girlfriend in a Coma
Autoren: Douglas Coupland
Vom Netzwerk:
werden die Stärkeren sein. Unsere Herzen werden hell erstrahlen. Wir werden auf ewig die Ziellinie überqueren.«
    Unten im Canyon versinken Richards Absätze im Schlamm, im Lehm, in Pilzen und in Mauselöchern, während er den Berg hinunterschliddert. Er fällt hin und rappelt sich wieder hoch, wie damals als Kind, wenn er mit einem Lachs-Sandwich in der Hand zum Mittagessen zur Lachsfarm hinunterkletterte. Der Boden ist weich und warm, wie ein altes. Hemd, wie eine feuchte Hochzeitstorte. Richte den Blick nach vorn, Richard: Wirf alles über Bord. Wage den Sprung nach vorn. Du hast eine Mission.
    Das Trillern eines Vogels ...
    Quarz ...
    Ein grünes Blatt ...
    Ein verschrammtes Knie ...
    Sein Atem ist ein winziger Hauch - ein Gedanke an einen Gedanken an einen Gedanken.
    Am Fluß entdeckt er die Stelle, an der er an jenem seltsamen Novembermorgen auf den Steinen saß. Er setzt sich hin und legt den Kopf auf einen glatten Felsbrocken. Dort liegt er, als Karen den Gipfel erreicht, wo sie einen staubigen Felsen findet, auf den sie sich und Jane stemmt. Die Luft ist kühl und kratzig. Sie atmet tief ein.
    Richard nimmt seine Wache auf den Steinen unter dem verrückt gewordenen Himmel wieder auf. Er zittert, und seine Beine sind taub vor Kälte. Ihm schießt etwas durch den Kopf - ihm schießt durch den Kopf, daß es überall auf der Erde Menschen geben muß, die gespannt, nein, verzweifelt auf wenigstens ein winziges Zeichen dafür warten, daß an uns etwas Schöneres, Größeres oder Wunderbareres ist, als wir angenommen haben. Wie kann ich sie aufrütteln? fragt er sich. Wie kann ich sie an die Hand nehmen und durch Feuer, Felswände und Eisberge führen? Mit dem, was wir tun, werden wir sie so schockieren und fesseln, daß sie zu neuen Denkweisen gelangen.
    Er hört ein letztes Mal Karens Stimme, sie ist oben auf dem Berg angekommen, und sie sagt: »Ihr seid die Zukunft und die Ewigkeit und alles. Ihr selbst seid das, was als nächstes kommt. Ich gehe jetzt. Meine Zeit ist gekommen. Ja - ich spüre schon, wie ich verschwinde. Ihr werdet die Welt verändern. Auf Wiedersehen, Leute.«
    In London tragen die Supermodels Prada, und die Fotografen fotografieren sie. Die jungen Prinzen lesen in ihrem Guinness Book of World Records. In Kalifornien werden Meetings abgehalten, und man stochert in Salaten herum. Auf der ganzen Welt erzeugen Staudämme Strom, und Sendetürme schicken starke Signale hinaus in den Himmel, mit denen für Fiat Pandas und Cremespülungen geworben wird. Goldene Lichter oszillieren heftig. Gigantische Satellitenschüsseln rotieren und tasten das Universum, nach Stimmen und Wundern ab. Und warum auch nicht? Die Welt erwacht tatsächlich: In Ginza brodelt es, und Geschäftsleute übergeben sich, begleitet vom Kichern sibirischer Partygirls in Suntory-Whisky-Kartons - die Aufgeregtheit, der Glamour und die Verlockungen des Fortschritts. Städte leuchten: Städte aus Gold und Zinn und Blei und Birke und Teflon, Molybdän und Diamanten, die glitzern und glitzern und glitzern.
    Gegen Sonnenaufgang spürt Richard das Beben - die Welt erwacht zum Leben. Ein gewaltiger Kamerablitz durchzuckt die Atmosphäre. Er kann es spüren - die Welt kehrt zurück. Und plötzlich geht die Sonne auf. Ein letzter Lichtblitz erschrickt einen Schwärm Lachse, die im Wasser umherwuseln - ein rotbraunes Massenhirn, das sich unter den Felsen drängt. Richard versucht sich ihr kollektives Denken vorzustellen - die eine Idee, die sie hervorbringen wollen. Er denkt noch einmal an sein Leben und seine Welt: Nein, meine Tochter ist nicht verwirrt und wütend und den Drogen verfallen. Nein, sie haßt mich nicht wegen all dem, was ich vergessen oder vernachlässigt oder versäumt habe, für sie zu tun. Nein, die Frau, die ich liebe, ist nicht die papierne Hülle einer Frau, die flache, winzige Atemzüge macht, während ihre grauen Haare knistern und ihr Körper zu Leder und Knochen wird. Meine Freunde sind nicht einsam und müde und ausgetrocknet und traurig. Und auch ich mache mir nichts vor. Das ist alles vorbei - der Handel gilt. Richard denkt daran, was es heißt, ausgerechnet in diesem historischen Augenblick zu leben, und er kann nur staunen: dieser wundersame Moment - dieses Sprungbrett zu fernen Zielen. Alles, was er sehen und fühlen wird - selbst solche Kleinigkeiten wie das Mond-Wandbild in Karens altem Zimmer oder Satelliten-Wetterkarten -, alles ist nur ein winziger Teil dessen, was als nächstes kommt.
    Seine Gedanken
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher