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Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Titel: Gillian Shields - Der Zauber der Steine
Autoren: Band 3
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auch all die anderen Schülerinnen in Wyldcliffe, weit weg von mir und meinem Leben. Ich musste jetzt allein sein, wenigstens für einen kurzen Moment.
    Anstatt mich sofort in Richtung der Ställe aufzumachen, ging ich durch den roten Flur bis zur verschlossenen Ballsaaltür. Miss Scratton hatte geplant, den Saal für den Weihnachtsball zu öffnen, um etwas Wärme, Lachen und Fröhlichkeit in das dunkle, verwunschene Gebäude einziehen zu lassen. Damit war es jetzt vorbei. Miss Dalrymple und ihre Kolleginnen würden diese Pläne ad acta legen, da war ich sicher.
    Die Ballsaaltür war mit einem von Mäusen zerfressenen Seidenvorhang verhängt. Ich zog ihn zur Seite und blickte auf die beiden hohen Türflügel, die mit eingeschnitzten Blumen und Früchten verziert waren. Dann legte ich meine Hand auf das massive Holz und sprach leise zu den Bäumen, aus denen die Tür gefertigt war, den Abkömmlingen des Baumes des Lebens. Ich berührte das Metallschloss und sah das Erz, aus dem es geschmiedet worden war, eine Eisenerzader aus den Tiefen der Erde. »Lass mich durch«, bat ich. Das Schloss sprang auf, und die Tür öffnete sich. Ich schlüpfte in den Raum und zog den Vorhang wieder zu, so dass niemand bemerkte, dass ich hier war.
    Der Ballsaal war wunderschön, wie ein schlafender Palast, der wieder zum Leben erweckt werden wollte. Die Wände waren mit blassgrauer Seide bespannt und mit weißen Rosetten verziert. Silbergerahmte Spiegel reflektierten mein Bild in alle Richtungen, bis es in der Unendlichkeit verschwand. Die Fenster waren mit Rollos verdunkelt und die Kronleuchter mit Tüchern verhängt. Ich meinte, Miss Scrattons Stimme zu hören – »Ladys, wir brauchen Licht in Wyldcliffe« – und ging über den glänzenden Tanzboden hinüber zu einem Fenster und zog das Rollo nach oben. Die Maisonne flutete in den Raum. Draußen wirkte alles ruhig und friedlich: die Gärten der Abbey und die Ruinen und der See.
    Ich liebte diesen Ort trotz all seinee Hochmuts. Ich liebte die Geschichte der Abtei, ihre Geheimnisse, und ich liebte die wilden Hügel, deren Wurzeln bis ins Innerste der Welt reichten. Aber Wyldcliffes Geheimnisse waren auch gefährlich. Einige von uns waren verletzt worden. Auch Laura. Die Priesterin war noch dort draußen. Velvet war hin- und hergerissen zwischen Freundschaft und Feindschaft und fragte sich, welche Rolle sie in dieser seltsamen Geschichte spielte. Und es war noch nicht vorbei.
    Hab keine Angst.
    Ich hatte meine Aufgabe erfüllt. Es war meine Zeit gewesen. Ich war aus dem Hintergrund ins Rampenlicht getreten und hatte Erfolg gehabt. Ich hatte meine Versprechen gehalten.
    Ich hörte Musik und Gelächter, quirlig und hell und weit entfernt wie die Stimmen von Geisterkindern. Dann begann im Ballsaal alles zu glänzen und zu leuchten, die Kerzen in den riesigen Kronleuchtern brannten. Der Raum war erfüllt von Licht und Wärme und tanzenden Menschen.
    Auf dem Balkon standen Sebastian und Agnes und blickten nach unten, ihr Lächeln war wie ein göttlicher Segen. Tanzpaare glitten langsam über das Parkett. Ich sah Josh und Evie, die sich scheu anblickten, und ich sah mich selbst in den Armen von Cal, sein tief gebräuntes Gesicht strahlte vor Stolz. Ich trug das bestickte Kleid, das Marias Mutter gehört hatte, und jenseits der Musik hörte ich leise Trommelgeräusche und das Klopfen meines Herzens. Wir tanzten, wir waren voller Leben, wir waren voller Glück. Und dann sah ich Helen, die Hand in Hand mit einer hochgewachsenen, düsteren Gestalt den Raum betrat, deren Gesicht ich nicht erkennen konnte …
    Ich wollte es nicht sehen. Ich wollte nichts mehr wissen. Ich zwang mich aus der Vision heraus, ließ das Rollo wieder herunter und verließ den Raum. Die Zukunft warf ihre Schatten voraus, der ewige Tanz von Gut und Böse würde weitergehen. Aber ich war Sarah, und ich war eine Königin. Was auch immer geschehen würde, ich war bereit.
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