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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen
Autoren: Heike Schroll
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Ahlsens mit berechtigter Ungeduld auf: »Zeigen Sie doch mal, was Sie gefunden haben.«
»Das wird Ihnen nicht gefallen, fürchte ich«, schickte Ahlsens voraus, als er in Richtung der Buchenstämme wies.
Dreyer ließ sein Auto samt Mitfahrern stehen, und schweigend gingen die beiden Männer den kurzen Weg, bis sie an den hinteren Baumstämmen ankamen. Das Schwirren der Insekten war schon zu hören, noch ehe Walter Details erkennen konnte. Als er dann direkt davor stand, konnte er es immer noch nicht recht glauben, so irreal war der Anblick: In den schwarzen Lederhandschuhen waren tatsächlich die Schnittflächen von Handgelenken zu sehen. Zumindest nahm Walter Dreyer das an, denn seine anatomischen Kenntnisse waren nicht sonderlich ausgeprägt. Instinktiv verscheuchte er die Fliegen, die in der Wärme des prallen Sonnenlichts den Verlockungen der Verwesung nicht widerstehen konnten. Dann wandte er sich nachdenklich ab und sah sich lange aufmerksam um.
»Hier ist niemand«, teilte Ahlsens mit. »Ich hab die Gegend genauestens im Auge behalten und die ganze Zeit niemanden gesehen oder gehört, obwohl ich anfangs schon dachte, da beobachtet mich einer.«
»Zwei Hände«, überlegte Dreyer laut, »wo ist der Rest?«
»Gute Frage«, stimmte ihm Ahlsens zu, »das habe ich mich auch schon gefragt, während ich hier wartete. Ein unangenehmer Gedanke übrigens, wenn man hier so allein rumsitzt.«
»Und Sie hatten das Gefühl, beobachtet zu werden?« Walter sah erneut über die weiten Felder zum Waldrand hinauf.
»Na, Sie kennen das doch sicher auch. Selbst mich alten Mann erwischt es von Zeit zu Zeit, im Wald oder in der Dämmerung, und auch nur, wenn ich allein unterwegs bin ... Aber da ist sicher nichts dran, dass man Blicke spüren kann«, sprach Ahlsens sich Mut zu.
Dreyer bekannte: »Na klar kenne ich das, vermute jedoch, dass unsere Instinkte für dieses Gefühl verantwortlich sind. Also: Ich würde erst einmal davon ausgehen, dass Sie tatsächlich beobachtet wurden. Diese Handschuhe liegen hier noch nicht lange. Es sieht alles ziemlich, ähm, frisch aus.« Er sah auf seine Uhr. Halb elf. »Vielleicht sollten gerade Sie das da finden?«
»Ich? Wieso denn?!« Ahlsens war entsetzt.
»War nur so ’ne Idee«, lenkte Dreyer rasch ein. Doch dann begründete er seine Vermutung: »Es ist doch irgendwie eigenartig, finden Sie nicht? Die Dinger sind nicht zu übersehen. Würden sie schon länger so daliegen, hätte irgendein Raubvogel oder ein anderes Tier sich wenigstens einen der Handschuhe schnappen können, hätte mal dran gezerrt oder sonst etwas verändert, doch nein, sie liegen beide exakt so positioniert, dass man nicht an ein zufällig vergessenes Paar glauben kann und einfach an ihnen vorbei geht. Dieses schauerliche Arrangement wäre nach kurzer Zeit zerstört gewesen, glauben Sie mir.«
Ahlsens dachte nach. »Ich bin von Waldau gekommen. Da kann man diese Stelle schon von da hinten sehen«, wies er auf den von ihm zurückgelegten Weg. »Da war niemand. Ich habe nur den Trecker fahren gehört.«
Walter Dreyer versuchte, sich die Situation vorzustellen. Also war der Wenzel hier in der Gegend unterwegs gewesen. Ob dem was aufgefallen war? Und mit wem hatte er heute Morgen am Zaun gearbeitet? Eine heftige Unruhe ergriff ihn. Wenn in den Handschuhen tatsächlich menschliche Körperteile stecken sollten, war keine Zeit zu verlieren. »Ich werde jetzt meine Vorgesetzte in Gardelegen anrufen«, teilte er entschlossen mit.
Dass ihn ein Telefonat auch unter diesen Umständen in Hochstimmung versetzte, ahnte niemand. Allein der Gedanke, gleich mit Judith zu sprechen und ihre Stimme zu hören, ließ sein Herz schneller schlagen.
Walter Dreyer sah Botho Ahlsens direkt an. »Ich muss Sie bitten, noch ein wenig hier zu bleiben. Ich lasse Ihnen den Wenzel zur Gesellschaft da. Nach Wiepke geht’s am schnellsten und ich erledige dort rasch den Anruf. Laura nehm ich lieber mit, aber wir kommen sofort wieder her, versprochen!«
Dreyer blickte nochmals auf den sonderbaren Fund. Wofür mochte diese makabre Inszenierung der Auftakt sein?

     
     
    ~ 6 ~
     
    Judith Brunner hatte sich am Krankenhauseingang ausgewiesen und war dann von einer molligen Schwester in den Keller mitgenommen worden, die ohnehin dort einige Gewebeproben zur Untersuchung abgeben wollte. Im Gehen unterhielten sich die Frauen über das warme Wetter, ein Thema, das in diesen Tagen alle Menschen für sich einnahm. Judith Brunner war der Weg zur Pathologie nur zu gut
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