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Giftschatten

Giftschatten

Titel: Giftschatten
Autoren: Robert Corvus
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wolle sie sie davon abhalten, zu ihrem Vater zu laufen, trug noch ihr Nachthemd unter dem Wollmantel. Vor den beiden stand ein junger Krieger, vermutlich der, den der Ritter Pallion genannt hatte. Er stapfte mit unter dem Rundhelm zusammengezogenen Brauen und gezogenem Schwert auf Modranel zu. Die Spitze der Klinge war jedoch nicht auf ihn gerichtet, also wollte er ihn wohl nicht kurzerhand abstechen. Für einen Moment wünschte Modranel, er würde es tun. Noch stand eine Frage in Quindas Gesicht. Der Albtraum des Verstehens war noch nicht gänzlich zu ihr vorgedrungen. Noch hielt sie die Wahrheit auf Abstand, dass er ihre ältere Tochter weggegeben hatte, in die Arme der Schattenherren, für die sie wegen der Stunde ihrer Geburt so wertvoll war. Eingetauscht gegen Wissen, das die Götter den Sterblichen verboten hatten. In diesem Moment dachte Modranel, dass es gut wäre zu sterben, bevor das Erkennen das Bangen zur Verzweiflung werden ließ. All die kleinen Lügen, die er sich zurechtgelegt hatte, rannen ihm durch die Finger wie Blut aus einer geöffneten Vene. Wieder einmal mit ihr und Ajina fortzuziehen … Ihr weiszumachen, er entdecke das Wissen durch seinen eigenen, genialen Verstand … Auch die Gelehrten davon zu überzeugen, wo immer sie dann wären, Zweifler durch beeindruckende Demonstrationen seiner Macht zum Schweigen zu bringen … In die Dienste eines Fürsten zu treten … Ein gutes Leben zu haben, in einem großen Haus mit Zofen und Laufburschen … Ihr jeden Monat ein Kleid zu kaufen … Ajina unter Süßigkeiten zu begraben … Und nie wieder an Lióla zu denken … Modranels Körper schauderte vor Selbstekel.
    Der Moment ging vorbei, als der Bewaffnete ihn anherrschte. »Legt das Buch weg!«
    Modranel erstarrte. Seine Finger krallten sich in das Leder des Einbands.
    »Fort mit dem Buch, sage ich!«, rief der andere erneut über die Geräusche des Kampfs hinweg und holte drohend mit dem Schwert aus.
    Hinter ihm kam Quinda mit zögerndem Schritt näher. Sie schob Ajina hinter sich. »Modranel, du hast nicht wirklich …?«
    »Das Buch!«
    Modranel löste die rechte Hand. Der Foliant verbarg sie vor dem Blick des Kriegers, als sie den Dolch aus der Scheide zog.
    Der Kämpfer ging in die Hocke, um dem am Boden kauernden Modranel näher zu kommen. Wegen Schild und Schwert hatte er keine Hand frei, mit der er nach dem Buch hätte greifen können. So hob er seine Waffe noch ein Stück. Sein Arm war nun senkrecht in die Höhe gestreckt. Weiterer Worte bedurfte es nicht.
    Modranel schob das Buch zur Seite, fort von den Oberschenkeln, auf denen es ruhte. Er zuckte zusammen, als seine Unterseite auf den Boden schlug. Aber er zwang sich, es nicht sofort wieder an der Brust zu bergen, sondern sich auf die Rechte zu konzentrieren, mit der er den Dolch führte. Er war kein geübter Fechter, er zog die gewellte Klinge in der gleichen Weise über das Bein des Gegners, wie er auch einen Laib Brot geschnitten hätte. Die Schneide zertrennte den Stoff der Hose, drang aber nicht tief in das Fleisch darunter ein.
    Pallion schrie auf und rammte ihm den Ellbogen des Schwertarms gegen die Schläfe. Noch während er zur Seite kippte, erkannte Modranel, dass die Wut des Gegners ihm das Leben rettete. Wäre er nur um Weniges bedachter gewesen, hätte Pallion das Schwert verwendet und ihn gespalten.
    »Ich ergebe mich!«, rief Modranel und warf den Dolch so weit fort, wie es ihm auf der Seite liegend möglich war. Besorgt sah er auf den Folianten, der nun gänzlich auf dem Boden lag. War er beschädigt? Konnte er etwa feucht werden? Modranel hatte nicht darauf geachtet, ob der Regen sich in diesem Raum Eingang verschafft hatte. Auszuschließen war es nicht, so verfallen wie das Anwesen war. Eigentlich sollte Nässe dem Material nichts anhaben können, vielleicht hätte das Buch sogar dem Schwert des Kriegers standgehalten, schließlich war die Klinge nicht aus Mondsilber geschmiedet. Aber wer konnte das schon mit Gewissheit sagen? Für Modranel waren das alles nur Gerüchte. Er wusste so wenig! So erbärmlich wenig!
    Erst jetzt bemerkte er, dass Pallion aufgesprungen war. Er knirschte mit den Zähnen, hielt das Schwert unbestimmt in seine Richtung. Am Schnitt färbte sich seine Hose dunkel. Keine große Wunde, aber sie blutete. »Ihr habt Glück, dass Mondstrahl Treaton Euch noch verhören will!«
    »Gnade!«, rief Modranel. Sein Blick suchte das Buch. Er kämpfte gegen den Drang, es wieder an sich zu nehmen. Er wagte noch
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