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Giftschatten

Giftschatten

Titel: Giftschatten
Autoren: Robert Corvus
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zu sich. »Keiner wird dir helfen. Niemand. Du wirst ganz allein sein. Für immer.«
    Lióla wimmerte.
    Gadior schloss die Augen bis auf einen Spalt und legte den Kopf in den Nacken. Er streichelte über Liólas Gesicht, bis ein leichtes Zittern durch seinen Arm ging.
    Fasziniert beobachtete Modranel, wie sich ein silbernes Glitzern von der Brust seiner Tochter löste. Es wirkte wie Schaum, wie Gischt auf den Wellen am Strand. Sobald der ätherische Stoff den Kontakt mit Liólas Haut verloren hatte, wurde er grau. Als er sich in der hohlen Hand des Osadro sammelte, war er beinahe schwarz.
    Verträumt lächelnd hob Gadior das wabernde Wölkchen vor sein Gesicht. Er betrachtete es einen Augenblick, dann atmete er es mit einem tiefen Zug ein. Unartikuliert rief er aus und machte einen Schritt zurück. Ekstase leuchtete aus seinen Zügen.
    Modranel sprang auf und zog seine Tochter an sich. »Ihr wollt sie doch nicht töten! Dafür ist sie zu wertvoll!«
    »Ja, ja.« Er kicherte. »Du hast recht. Aber ich konnte nicht widerstehen. Und ihre Essenz ist noch schmackhafter, als ich erhoffte. Ein wahrhaft fürstliches Geschenk, das du mir bringst.«
    »Kein Geschenk! Wir haben einen Handel!«
    »Papa …«, wimmerte Lióla.
    »Ja. Einen Handel.« Gadior nahm den Folianten in beide Hände. »Einen Handel, der dich von einem erbärmlichen Studiosus zu einem Meister der Zauberei machen wird.«
    Modranel fragte sich, ob der Schattenherr seine Gefühle formte, aber das war wohl unnötig. Beim Anblick des Buches sah Modranel all seine Träume. Niemand brauchte ihn zu locken, es drängte ihn aus tiefster Seele.
    »Du willst es, nicht wahr?«, sinnierte Gadior. »Mehr als alles andere, scheint mir. Ich frage mich, was du dafür zu geben bereit wärst.«
    »Ich gab Euch meine Tochter!«
    »Schon, aber wenn du es könntest, wenn du ein Fürst wärst – würdest du mir dann noch mehr geben? Eine Baronie vielleicht?« Er drückte den Folianten an seine Brust. »Ganze Dörfer voller Kinder?«
    Modranel versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen.
    »Errege dich nicht so, ich bitte dich! Sonst bin ich versucht, auch von deiner Lebenskraft zu kosten.«
    »In hundert Dörfern würdet Ihr nicht ein Kind finden wie Lióla.«
    Der Osadro fixierte das Mädchen. »Das mag wohl stimmen«, murmelte er. »Ich frage mich noch etwas: Wann habe ich dir gestattet, dich zu erheben?«
    Modranel fiel wieder auf die Knie.
    »Ich könnte deine Tochter mit mir nehmen, ohne Gegenleistung, und du könntest es nicht verhindern.«
    »Die Schattenherren brechen keinen Handel.«
    »Ja.« Gadior seufzte gekünstelt. »Gut, dass du mich daran erinnerst. Hier, nimm, bevor ich meine Meinung ändere.« Er stieß Modranel das Buch entgegen.
    Da war es, berührte beinahe sein Gesicht! Modranels Hände griffen zu, bevor sein Verstand den Entschluss fassen konnte. Das Leder des Einbands war kalt und hart, der Titel geprägt. Die Kerzen waren zu weit entfernt, um ihn lesen zu können, aber Modranel wusste genau, was dort stand: ›Von den Pfaden zu den Mysterien von Macht und Wirken‹. Das Gewicht überraschte ihn, als der Osadro losließ. Erst knapp über dem Boden fing er das Buch ab, beugte sich vor und barg es an der bebenden Brust. Er wollte nicht mehr aufschauen, wollte nicht sehen, wie seine Tochter fortgeführt würde. Er wollte allein sein. Allein mit dem Wissen. Er würde Jahre brauchen, um gänzlich zu verstehen, was die Seiten dieses Werks ihm anvertrauen würden. Er wollte nicht länger warten und mit dem Studium beginnen.
    »Wollt ihr euch denn nicht verabschieden?«, hauchte die Stimme. »Schließlich werdet ihr euch niemals wiedersehen.«
    »Papa!«, schrie Lióla auf.
    Er drückte den Folianten fester an die Brust, krümmte sich noch mehr zusammen.
    »Allerdings könnte ich mir vorstellen, öfter mit deinem Vater Geschäfte zu machen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich von Fredigo Endorn jemals so gute Ware bekommen hätte.« Er trat vor Modranel und ging in die Hocke, hob mit den harten Fingernägeln das Kinn seines Gesprächspartners an und sah ihm in die Augen. »Mit Endorn hatte ich stets angenehme Konversation. Das könnte mit dir auch möglich sein. Wenn du mehr weißt. In zwei Jahren vielleicht, wenn du fleißig bist. Falls du es verstehst, dein neues Wissen zu nutzen, wirst du auch bald in einer Bleibe wohnen, deren Besuch zumutbar ist.« Er stand auf. »Halte einen Sessel für mich …« Er ruckte herum zu der Tür, die zur
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