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Giftschatten

Giftschatten

Titel: Giftschatten
Autoren: Robert Corvus
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dieser Stelle hätte lügen sollen. Also nickte Lióla.
    »Lass uns zu den Ereignissen kommen, die für die Anklage wesentlich sind. Jemand behauptet, dein Amt stünde dir nicht zu, weil du es durch eine Täuschung erschlichen hättest.«
    Nun sah Sunna auf. »Wer ist dieser Neider, der solche Reden gegen mich führt?«
    Lióla gab keine Antwort, sondern lächelte nur. Und ihr Lächeln zeigte wieder einmal seine einschüchternde Wirkung. Ihre Lippen waren beinahe so hell wie ihre Haut, was Zeugnis von ihrer Geburt während einer dreifachen Mondfinsternis gab. Jeder wusste, dass Menschen mit schwarzem Haar, bleicher Haut und farblosen Lippen nicht nur empfänglich für die Ströme der Magie waren, sondern auch für eine grausame Art von Wahnsinn. So jemanden wollte niemand reizen.
    Sunna wischte sich den Schweiß von der Stirn, als sie fortfuhr. »Dieses Land war erst vor kurzer Zeit in die Schatten gefallen. Das Schwarze Heer hatte jeden Widerstand gebrochen, die meisten Truppen waren bereits abgezogen. Es gab keinen Fürsten mehr, der gegen die Schatten aufbegehrt hätte, aber im Volk strebten noch viele Herzen dem Licht zu. Die Einfältigen hatten die Macht der Finsternis nicht erkannt. Und es gab viele Einfältige.«
    »Die gibt es immer«, platzte Lióla hinaus. Sofort ärgerte sie sich, Sunna unterbrochen zu haben.Sie wartete, bis diese fortfuhr.
    »Ihre Haltung wurde von manchen Dingen bestärkt. Und von manchen Leuten. Zu diesen gehörte auch Masirron, ein heiliger Mann. Er wirkte in Joquin, einem Städtchen ein Dutzend Meilen von hier.«
    »Masirron von Joquin?«, fragte Lióla. »Von dem habe ich gehört. Er hat uns noch letzte Woche fünf Kinder geschickt. Ein makelloser Tribut.«
    Sunna lächelte freudlos. »Ja, aber damals war er noch nicht so. Er stand in Verbindung mit einer Dryade, einer Kreatur, die ihre Umgebung segnete und fruchtbar machte und Kranke heilte. Sie lebte in einem Hain in Joquin, und Masirron konnte mit ihr sprechen. Eine Gabe, die ihm in die Wiege gelegt worden war. Er berichtete den Bürgern, was die Dryade begehrte. Oft war es Gesang, fröhliche Lieder, manchmal wollte sie auch, dass die Äste der Bäume mit bunten Bändern geschmückt würden. Die Bürger erfüllten diese Wünsche, und die Dryade heilte ihre Kranken. Die Stadt unterwarf sich den Schatten, führte die festgesetzten Steuern ab, aber der mit viel Pomp gebaute Tempel des Kults blieb leer. Niemand flehte in der Finsternis, denn sie hatten ja die Dryade, die für sie sorgte. Niemand schenkte der Lehre Glauben, dass sich Unnachgiebigkeit, Härte und Stärke durchsetzen. Die Dryade förderte ihren Sinn für Gemeinschaft und den Schutz der Schwachen.«
    »Genug davon! Ich weiß, was du meinst. Das übliche Gefasel der Götter, die die Starken in Schwachheit halten wollen.«
    »Ja, Herrin.«
    »Wenn dein Auftrag darin bestand, diesem Masirron das Handwerk zu legen, warum lebt er dann noch?«
    Sunna seufzte. »In der Tat fasste ich zunächst den Plan, ihn einfach umzubringen. Ich kannte mich schon damals mit Kräutern aus, und so dachte ich, es wäre ein Leichtes, ihn zu vergiften. Das Siegel, das vom Dämon in mich gelegt worden war, hätte mich vor jeder Strafe beschützt, hätte man mich vor einen ondrischen Richter gebracht. Ohne Masirron wäre der Kontakt der Dryade zu den Bürgern eingeschlafen, das Problem wäre beseitigt gewesen.«
    Lióla sah in den Rauch und nickte.
    »Muss er wirklich hier sein?«, fragte Sunna mit Blick auf Birros.
    »Wage es nur«, zischte Lióla. »Zweifle nur an, wie ich diesen Prozess führe! Und dies, nachdem du den Namen desjenigen erfahren wolltest, der deine Verfehlung zu den Schatten der Kathedrale getragen hat, obwohl du weißt, dass er dich nichts angeht!« Der Kult war stets bestrebt, Misstrauen im Volk zu säen. Es war ein guter Nährboden für Neid, Streit, sogar lang anhaltenden Hass. Gefühle, die die Schatten zu schätzen wussten. In Verfahren wie diesem wurde der Denunziant niemals offengelegt. Gab es allerdings einen Freispruch, so verlor er ein paar Fingerglieder und war damit entlarvt. Es sei denn, er zahlte einen festgesetzten Preis an den Kult. Nach einem Prozess konnte eine plötzliche Geldknappheit bei einem Nachbarn deswegen neues Misstrauen säen, ein verkrüppelter Daumen war sogar eine Garantie dafür. Solche Anzeichen wiesen den Rachegelüsten des Freigesprochenen den Weg. Finsternis gebar Finsternis. »Es wird deinem Sohn guttun, dass er hier ist! Soll er dir als
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