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Giftschatten

Giftschatten

Titel: Giftschatten
Autoren: Robert Corvus
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Feuer.« Sie zeigte auf eine der Türöffnungen.
    Jetzt sah auch Modranel die Helligkeit. Er ist doch schon da. Der Gedanke schnürte ihm den Hals zu.
    Er stand auf. Hätte er es gewollt, hätte er ungehindert diesen Ort verlassen können, um mit Lióla an der Hand zu seinem mittelmäßigen Leben mit Quinda und Ajina zurückzukehren. Aber er war gekommen, weil er genau das auf keinen Fall wollte.
    Das Licht kam nicht von einem Kaminfeuer, sondern von einem fünfarmigen Kerzenleuchter. Er war voll bestückt und beschien die Seiten eines Folianten, der auf den Knien eines Jünglings lag. Der in vornehm dunklen Samt gekleidete Mann saß in einem Sessel, der unbeschädigt schien, was ihn vom Rest der Einrichtung unterschied, die so gründlich zertrümmert und verkohlt war, dass man ihren früheren Zweck nicht mehr erkennen konnte. Gut möglich, dass der Mann seine Sitzgelegenheit aus einem anderen Raum hierhergetragen hatte. Von der schwächlichen Gestalt durfte sich Modranel nicht täuschen lassen.
    Mit kaum hörbarem Rascheln klappte der Mann das Buch zu. Seine Haut war nur wenig dunkler als Liólas, die er mit unverhohlener Neugier musterte. Kein Wunder, er hatte die Sonne seit Jahrzehnten nicht gesehen. Das schulterlange Blond seiner Haare rahmte das Gesicht eines Knaben ein, der auf dem Weg gewesen war, ein Mann zu werden. Auch der Körper wirkte nicht gänzlich ausgewachsen, wenn seine Wohlgestalt auch nicht zu leugnen war.
    Natürlich hatte Modranel die Archive studiert, während er den Handel mit Baron Gadior von Renatow vorbereitet hatte. Vor einem Dreivierteljahrhundert war er in die Schatten getreten, und vermutlich hatte seine gefällige Erscheinung ihren Anteil an seiner frühen Erwählung gehabt. In den Schatten alterte man nicht mehr. Dieser Effekt war seiner Gönnerin wohl wünschenswert erschienen. Ebenso wie die Silberminen natürlich, die der letzte Spross der Renatows in das Schattenkönigreich Ondrien eingebracht hatte. Silber war das Einzige, was die Ondrier ebenso begehrten wie verbotenes Wissen. Das eine bedrohte sie, das andere gab ihnen die Macht, mit der sie selbst den Göttern zu trotzen vermochten. Schwäche war für sie ebenso wie Stärke etwas, das man kontrollieren musste.
    »Du siehst mir sehr grüblerisch aus.« Die Stimme des Osadro war ein Hauch. Die Lippen bewegten sich kaum, während sein Blick starr wie der einer Schlange auf Lióla blieb. »Darüber willst du doch nicht die korrekte Form vergessen«, langsam drehte er den Kopf, bis er Modranel ansah, »und mich damit beleidigen?«
    Hastig fiel Modranel auf die Knie und zog auch Lióla herunter. »Verzeiht, Herr! Ich sah noch niemals jemanden wie Euch!«
    Gadior lachte leise. »Und ich merke dir an, dass du schon jetzt darüber nachsinnst, ob es ein kluger Gedanke war, das zu ändern.«
    Modranel sah zu Boden. Überall lag verkohltes Holz, vielleicht Teile der einstigen Wandverkleidung. »Ich weiß, warum ich gekommen bin. Und ich stehe zu meinem Handel.«
    »Das tue ich auch«, versetzte Gadior. »Das tue ich auch.« Es klang gelangweilt. Er stand auf. Seine Hand konnte den Rücken des Folianten kaum umfassen. Dennoch schien ihm das Gewicht keine Mühe zu machen. Er bewegte das schwere Buch, als hielte er ein einzelnes Pergament.
    Nahezu geräuschlos kam er auf die knienden Menschen zu. »Steh auf, mein Kind«, sagte er und streckte die Hand aus. Seine Fingernägel waren sorgfältig gefeilte Krallen.
    Modranel unterdrückte den Impuls, Lióla zurückzuhalten, als sie sich auf die Füße stellte.
    Gadior strich die Locken aus dem runden Gesicht. »Du hast nicht zu viel versprochen«, flüsterte er, während er ihre bleiche Haut betrachtete. »Ein Kind der dreifachen Mondfinsternis, das ist nicht zu leugnen.«
    »Wer ist dieser Mann, Papa?«
    »Er ist ein feiner Herr«, würgte Modranel hervor. »Ein Baron. Du wirst es gut bei ihm haben.«
    »Bleiben wir denn bei ihm?«
    »Papa muss zurück, aber du wirst es gut bei ihm haben.«
    Wieder lachte Gadior sein leises Lachen. »Dein Vater lügt, weißt du?« Seine Wimpern und Brauen waren von hellem Gelb, wie Knochen, die einige Zeit in der Witterung gelegen hatten. »Deine Eltern wollen dich nicht mehr. Dein Vater will dich nicht mehr. Er schickt dich weg. Zu mir. Und ich kann mit dir machen, was ich will. Niemand wird dich hören, wenn du schreist in der Nacht.«
    Lióla sah zu ihrem Vater. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
    Gadior kratzte ihr sanft über die Wange, drehte ihr Gesicht
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